GRIP 11
01.07.1995
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Ein Besuch bei der Reed/Midem Organisation, die die international bedeutenden TV-Programm-Messen in Cannes ausrichtet.
Von Dieber Brockmeyer
Avenue Victor Hugo in Paris, da wo es am teuersten ist und wo vor allem die diplomatischen Vertretungen in der französischen Hauptstadt ihren Sitz haben. Gerade weit genug vom Place d’Etoile und dem Tocadero entfernt, so daß Touristen sich nur selten in dieser noblen Nachbarschaft bewegen. Dabei repräsentiert dieser Stadtbezirk genau das, was man sich unter einem bourgeoisen Ambiente vorstellt. Großbürgerlich ist in der Tat das Gebäude, in dem die Reed/ Midem Organisation, RMO, residiert. Freilich, will man ihre Büros betreten, relativiert sich dieser erste Eindruck doch etwas: Durch ein Seitengäßchen kommt man an den Hof mit dem vergleichsweise noch immer beachtlichen Hintereingang des Gebäudes, durch den allein man in die heiligen Hallen des Unternehmens hineingelangt.
Bescheiden und eng wirkt er, der Empfangsbereich. Die sich anschließenden, ursprünglich großen Räume wurden durch verglaste Trennwände in kleine Büros unterteilt. Verstärkt wurde dieser Eindruck der hektischen Enge durch die großen metallenen Überseekisten, die sich auf jedem freien Plätzchen stapelten. „So sieht es hier immer aus, wenn wir gerade von einer Messe zurückkommen, “ erklärt Caroline Dattner, eine der Pressesprecherinnen von RMO. „Von der gerade beendeten MIP-TV haben wir wieder Unmengen an Unterlagen mitgebracht, die wir erst mal wieder ausräumen müssen. “
MIP-TV, dieser Name hat international schon seit den 60er Jahren einen excellenten Ruf und zieht Frühjahr für Frühjahr Fernseh- und Programmmacher aus der ganzen Welt an die Cote d’Azur nach Cannes. Das ist aber schon lange nicht mehr das letzte Highlight, das der rege Messeveranstalter aus Paris zu bieten hat. MIDEM, die zweitälteste Messe internationale Musik, oder die MIPCOM im Herbst, die in den 80er Jahren analog zur MIP-TV speziell für Kabel und Satellitenanbieter eingerichtet wurde, klingen genauso melodisch in den Medienohren. Bernhard Chevry ist es zu verdanken, daß 1965 die erste MIP-TV über die Bühne gehen konnte. Seitdem legte das Unternehmen eine unvergleichliche Erfolgsstory an den Tag. Nach 20 Jahren wechselte die damalige Midem Organisation erstmalig den Besitzer und ging an die englische Television South, TVS. Aber schon drei Jahre später besiegelte ein erneuter Wechsel das vorerst weitere Schicksal. 1989 kaufte sich die Reed Exibition Company ein, ein Zweig der Reed International Group, die weltweit als Nummer 1 der Messeveranstalter zählt. Seit 1993 macht RMO das auch in ihrem Namen deutlich.
Seitdem ist Diversifikation angesagt. War das Unternehmen bis dato auf Medienmessen spezialisiert, startete man schon 1989 mit der MIPIM die erste internationale Immobilienmesse. In diesem Jahr wird mit der MAPIC in diesem Bereich eine weitere Messe für internationale Projektentwickler gestartet. Aber auch der Export bewährter Messekonzepte ist inzwischen ein bedeutendes Thema: Im letzten Herbst fand erstmals die MIP ASIA Hongkong statt, und jetzt im Mai wird die MIDEM ASIA folgen. „Wir sind sehr zufrieden, wie sich die Messe bisher entwickelt. Sie ist ausgebucht, “ freut sich Dattner. Im Herbst nächsten Jahres soll auch die MIPIM nach Asien exportiert werden. Auch die MIPCOM Junior ist eine neue Programm-Messe, die erstmals diesen Oktober stattfinden soll.
Kein Wunder, daß es in der Victor Hugo seit sechs Jahren langsam eng wird. In einer Parallelstraße hat man schon eine weitere Etage anmieten müssen. „Im Moment geht das noch, “ betont Dattner, „aber für die Zukunft werden wir uns etwas überlegen müssen. “ Rund 100 Mitarbeiter hat RMO heute, inklusive der Auslandsvertretungen in New York und London. Weitere freie Repräsentanten zu einzelnen Messen unterstützen RMO in verschiedenen Ländern. In Deutschland etwa vertritt Cornelia Much die Veranstaltungen MIPIM und Milia. Hinzu kommen zu Spitzenzeiten vor den Messen noch etwa 20 Freelancer, die in der Zentrale spezielle Aufgaben übernehmen. In Cannes etwa kommen noch einmal 200 bis 400 „Saisonarbeiter“ hinzu. Bezieht man diese Zahlen allein auf die Zentrale, heißt das, auf den insgesamt drei engen Etagen zwängen sich etwa 90 Mitarbeiter. Freilich, man hängt an den Räumen in der Avenue, an der zentralen repräsentativen Lage mitten in der Stadt, mit Geschäften, Restaurants und Bars in direkter Nachbarschaft. „Ob wir etwas ähnliches dann wieder bekommen werden, ist mehr als fraglich“, bedauert Dattner. „Hier sind wir schon sehr lange, so daß wir noch immer einen speziellen Mietpreis haben, den wir bei einem neuen Vermieter und den Marktpreisen nie erhalten könnten. “
Also sitzt man weiter aufeinander, was aber ohne negativen Einfluß auf die Mitarbeiter zu sein scheint. „Das fördert die interne Kommunikation“, ist eine Mitarbeiterin des MIPCOM-Teams überzeugt. Wirklich, jede noch so kleine Ecke wird extensiv genutzt. Selbst die alten offenen Kamine, die in Büros sowieso nicht befeuert werden dürfen, dienen als Aktenablage. Das Vorzimmer des allgegenwärtigen Chief Executives Xavier Roy gar bezieht sein schummriges Tageslicht allein über den verglasten schmalen Flur, der wiederum sein Tageslicht aus einer der selbst verglasten Büroboxen erhält. Bei dem französischen Nachbarn nimmt man bekanntermaßen einiges auf die leichte Schulter. Auch das wäre in Deutschland sicherlich nicht denkbar. Aber auch das „Chefzimmer“, in dem sich Roy eingenistet hat, fügt sich in diese Athmosphäre arbeitsamen Understatements ein. Trotz des Erkers, der sich rund der Straße zuwölbt, ist gerade einmal Platz für den gar nicht zu großen Schreibtisch und zwei Besucherstühle. Der kleine Fernseher und der Videorecorder neben der Tür sind fast schon zu viel für den kleinen Raum.
Von da aus beherrscht er also sein Reich: Xavier Roy, an ihm kommt keiner vorbei. Alle Selbstdarstellung, derer sich RMO befleißigt, strebt ihm zu. „Wir verstehen uns als Team, und alle ziehen an einem Strang“, erklärt er, nach der Firmenphilosophie gefragt. Und so abgedroschen diese Phrase bisweilen klingt, ihm nimmt man es gerne ab. In seinem Büro hängt als einziges Bild eine große Photographie der Mitarbeiter. „Die wurde auf einer Party gemacht, mit der man mich zu meinem 50sten Geburtstag überrascht hat. “ Der jetzt 55jährige ist noch immer sichtlich gerührt: „Das hat mich sehr gefreut. “ Schon seit 1968 arbeitet er für das Unternehmen. Davor arbeitete er für den französischen Musikverlag VOGUE. Bei seinem Besuch auf der ersten MIDEM traf er Bernhard Chevry, dessen MIP-TV damals schon im fünften Jahr war, und der holte sich Roy ins Unternehmen. Seine Karriere war steil. Vom International Sales Director der Midem Organisation wurde er die rechte Hand Chevrys und Vice President. Er gilt als der eigentliche Motor für die Entwicklung des Messeveranstalters, was ihm mit der Position des Co-Managing Directors belohnt wurde. 1989, mit dem Einstieg der Reed-Gruppe, schließlich wird er endgültig zur Nummer Eins. Erst kürzlich dürfte er seinen gesellschaftlich größten Triumph errungen haben. Für einen Franzosen ist die Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion wohl noch immer das Lebensziel. Für Roy ist das freilich kein Grund, von jetzt an kürzer zu treten. Nach seinen nächsten Zielen gefragt, antwortet er: „Vor sechs Jahren hatten wir nur drei Messen, im nächsten Jahr werden es neun sein! Da gibt es schon jetzt jede Menge zu tun. “
Jetzt, Ende Mai, wird erstmalig die M1DEM-AS1A in Hongkong über die Bühne gehen. Die Vorbereitungen laufen auf vollen Touren, und es sieht so aus, als ob auch dieses Ereignis für die Veranstalter ein voller Erfolg würde. Die Marktstatistik für die in 95 schon gelaufenen oder angelaufenen Messen wies für das neue Asienprojekt über 320 Teilnehmer aus 40 Ländern aus. Diese auf den ersten Blick relativ geringe Zahl ist trotz allem schon beachtlich, richten sich die Veranstaltungen der RMO doch immer an die kleine Zahl der Entscheidungsträger der höchsten Ebene.
Auch die in den letzten beiden Jahren neu etablierten Medienmessen Milia und MIP-ASIA scheinen sich am Markt bewährt zu haben. Die Milia, die in diesem Januar zum zweiten Mal stattfand, hat in der kurzen Zeit ihres Bestehens ihre Ausstellerzahlen fast verdoppelt. Sie richtet sich an Verlage, Multimediaentwickler und Kreative des Cyber-space und soll helfen, das Contentsproblem, das der aufstrebende Markt für CD-ROM und Co noch hat, zu beseitigen. „Ich war die letzten zehn Jahre auf der Buchmesse in Frankfurt, die als der größte Markt für Urheberrechte gilt, und habe dort kaum Geschäfte gemacht, “ äußerte sich ein Milia-Teilnehmer begeistert, „hier in Cannes flutscht es nur so von Termin zu Termin. “ Dennoch, als Konkurrent wollen sich weder Buchmesse noch RMO sehen; man habe völlig unterschiedliche Ziele und unterstütze sich gegenseitig, ist man sicher. „Das sehen Sie schon daran, daß die Macher von der Buchmesse uns zum Erfolg der Milia gratuliert haben“, bekräftigt Roy.
Für die MIP-ASIA erwarten die Veranstalter nach dem geglückten Start eine ähnliche Aufwärtsentwicklung. Kritischen Stimmen schenkt man keine Beachtung, so vermittelt man zumindest nach außen, weil die Kritiker doch wieder dabeisein würden. Und was tatsächlich zu verbessern wäre, wird man schon richten. Inwieweit das stimmt, kann freilich erst die Zukunft weisen. Die Diversifikation begann freilich schon 1990, und zwar gründlich. Mit der MIP1M richtete man sich nicht traditionell nach der Medienwirtschaft, sondern man schuf einen völlig neuen internationalen Marktplatz für Projektentwickler, Architekten und Finanziers des Immobiliengewerbes. Inzwischen hat sich auch dieser hochspezialisierte Ansatz zu einem absoluten Muß im Terminkalender der betroffenen Zielgruppe entwickelt. Der Erfolg war sogar so groß, daß man jetzt mit einer noch viel größeren Spezialisierung im gleichen Marktsegment an den Start geht. MAPIC, im November in Cannes, beschäftigt sich vor allem mit Einkaufszentren auf der grünen Wiese, die in der Zukunft verstärkt durch internationale Kooperationen aus dem Boden gestampft werden können. Schon jetzt sollen alle wichtigen Projektentwickler bei der neuen Messe mit im Boot sein.
Eine weitere neue Veranstaltung, diesmal auf „gewohntem“ Terrain, ist die MIPCOM Junior, die Anfang Oktober über das Canner Parkett laufen soll. Wie der Name schon sagt, hier wurde das bewährte Konzept von MIP-TV und MIPCOM speziell auf Kinder- und Jugendprogramme angewendet. Daß solche neuen Projekte nicht doch einmal zu einem Flop werden, dafür ist Brigitte Chaintreau, als Senior Vice President/Strategy and Diversivication, zuständig. Vor allen Dingen durch Befragungen versucht sie, die Bedürfnisse der jeweils angepeilten Zielgruppe zu erfahren. Hartnäckigen Gerüchten in der Branche zur Folge werden zur Zeit die Möglichkeiten für eine MIP-Eatin America erfragt. Dabei soll versucht werden, einem ähnlichen Projekt zuvorzukommen, das die NATPE für Chile plane. Solche Spekulationen weist man bei RMO freilich weit von sich. Mit den neuen Messen in Cannes und Asien hätte man beileibe genug zu tun und müsse erst einmal konsolidieren. Freilich, man gesteht ein, daß man auf Dauer nicht auf eine Expansion verzichten will. Es heißt abwarten, was die Reed/ Midem Organisation in der Zukunft an weiteren Überraschungen in Vorbereitung hat.
Kategorie: Firmenportrait (GRIP FACE)
Schlagworte: TV/Rundfunk