GRIP 11

01.07.1995

Selbstbehauptung und Massenmarkt

Hilmar Hoffmanns „100 Jahre Film"

Von Dieter Brockmeyer

Runde Geburtstage, so will's der Brauch, werden gebührend gefeiert. Warum sollte das bei 100 Jahren Film anders sein. Und wen wundert's, daß gerade hier die Glückwünsche besonders üppig ausfallen, so daß man gar nicht mehr hinsehen mag. Wenn man es doch einmal tut, bedarf es schon eines speziellen Grundes - wie etwa, wenn Hilmar Hoffmann seine Geschichte des Films präsentiert. Immerhin, Hoffmann ist nicht allein Begründer der Oberhauser Kurzfilmtage - seiner Zeit als Kulturdezernent der Stadt Frankfurt verdankt sie das erste Kommunale Kino und das Deutsche Filmmuseum.

„100 Jahre Film“ ist wenig aufmerksamkeitsheischend der Titel des im ECON-Taschenbuchverlags erschienenen Buches. Aber der Titel ist Programm: „Hoffmann illustriert den rasanten Weg des Films zum Massenmedium, seine kulturpolitischen Rollen, seine Internationalisierung und seine Selbstbehauptung innerhalb eines immer größer werdenden Medienangebots. “ So zumindest beansprucht die Ankündigung des Verlages. Dabei macht es das Layout des Buches nicht leicht, diesen Anspruch zu überprüfen. Die Seiten sind mit kleinen Buchstaben gut ausgenutzt, und kaum ein Rand hemmt ihren Fluß. Den Augen fällt es schwer, sich an diese nur sparsam bebilderte Flut zu gewöhnen. Da mögen freilich auch kommerzielle Fragen eine Rolle gespielt haben, denn sonst hätte das üppige Werk von fast 450 Seiten wohl einen noch größeren Umfang bekommen. Einen Beitrag an der Seitenflut hat auch Wolfram Schütte, der den Film in seinem Kapitel „Zwischen Abend- und Morgendämmerung - 1970-1994“ sieht. Weitere Co-Autoren in einzelnen Abschnitten sind Martin Loiperdinger und Renate Michel.

„Aber ein Kompendium von 500 Seiten stellt einen eigenen Reiz dar: Hier muß eine Darstellung verdichten, Akzente setzen“, erklärt Hoffmann gleich eingangs. In der Tat, der Autor hangelt sich recht konsequent vor allem an der deutschen Filmgeschichte entlang. Amerika und natürlich doch noch mehr Europa kommen nur da vor, wo sie etwa unter dem Stichwort „Internationalisierung“ den deutschen Film berühren. Freilich, auch wenn es um das Medium Film als Propagandainstrument im Dritten Reich geht, zeigt Hoffmann auch auf, wie etwa in den USA das Medium gleichzeitig eingesetzt wurde. Dem wahrhaft deutschen und vor allem schmachvollen Thema verdankt es auch ein einziger US-Regisseur, sehr prominent in dem Buch behandelt zu sein: Spielberg ist Endpunkt der Entwicklung im Untertitel „Von Lumière bis Spielberg“ und ist mit seinem Film „Schindlers Liste“ fast schon Nabel der Betrachtung.

Dabei ist der kommerzielle Film sonst nicht das Thema Hoffmanns. Streng an kulturellen Highlights macht er sein Geschichtsbild fest. Es mag aber kaum verwundern, daß Oberhauser Manifest und neuer deutscher Film einen besonderen Schwerpunkt bilden. Der Band erhält dadurch freilich etwas von einer Grabrede auf ein kulturelles Begriffskompendium, das sich zunehmend im Zeichen der (Selbst-) Kommerzialisierung des Massenmediums Film anspruchsvoll ins Abseits manövriert.

Hilmar Hoffmann
100 Jahre Film, von Lumière bis Spielberg (mit Beiträgen von Wolfram Schütte, Martin Loiperdinger und Renate Michel) Düsseldorf (Econ Taschebuchverlag) 1995 446 Seiten DM 30, -

Kategorie: Rezensionen (Bücher und Film bzw. GRIP Kritik)

Schlagworte: Filmkultur, Filmtheorie/Filmwissenschaft

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