GRIP 11
01.07.1995
Nichtverfilmtes am Ufer der Vernunft
Von Redaktion
Wochenschau 1946
mit Karl Valentin:
Reporter: Es freut mich, mein lieber Herr Karl Valentin, sowie auch viele Ihrer Verehrer in ganz Deutschland, daß Sie die schwere Zeit glücklich überstanden haben.
Valentin: Ja, die schwere Zeit hat mich leichter gemacht.
Reporter: Wieso?
Valentin: Ich wiege nur mehr 98 Pfund. Hier meine letzte Aufnahme (zeigt Valentin im Badekostüm).
Reporter: Das ist ja entsetzlich und komisch zugleich, das ist ja ein Sinnbild der Fettlosigkeit.
Valentin: Fettlosigkeit? Das ist ja mein Glück - Knochenlosigkeit wäre mein Unglück, da wär’ ich überhaupt nicht mehr da.
Reporter: Was sind denn Ihre Zukunftspläne?
Valentin: Ich möchte alles verfilmen, was mir seit 40 Jahren an Unsinn eingefallen ist.
Reporter: Ausgezeichnet! Da würde sicher die ganze Welt darüber lachen!
Dazu kam es nicht mehr. Die „entsetzlich-komische“ Wochenschau-Szene wurde nie aufgenommen. Der Münchner Komiker Karl Valentin starb 1948, verarmt, halbverhungert, von vielen seiner Zeitgenossen so gut wie vergessen. Heute wissen wir, daß er zu Deutschlands Filmpionieren gehört, daß sein Kampf um den Film eher glücklos verlief und wissen wir auch, daß seine erhaltenen Filme den wenigen Beispielen einer eigenständigen deutschen Filmkomik-Tradition zuzurechnen sind. Und wir wissen seit Alexander Kluge, daß das „Nichtverfilmte das Verfilmte kritisiert“.
Der im Herbst 1995 zur Frankfurter Buchmesse erscheinende Band „Filme und Filmprojekte“ der textkritischen Neuausgabe seiner „Sämtlichen Werke“ im Münchner Piper-Verlag wird mehr über dieses bisher unveröffentlichte „Nichtverfilmte“, auf Manuskriptpapier erträumte Valentin-Kino verraten: Über ein multimediales Gesamtkunstwerk zwischen Kino, Theater und Schallplatte - Valentins Fundamentalkomik im Medienverbundsystem.
Valentin war zeitlebens ein Kinoenthusiast. 1913 eröffnete der Medienhandwerker sein eigenes Filmatelier in München und annoncierte stolz: „Wir gestatten uns, zu bemerken, daß unsere Films nur Selbsterzeugnisse sind. “ 1928 erfand der multimediale Avantgardekünstler den ersten deutschen Tonfilm als Live-Performance hinter der Stummfilmleinwand einer Kabarettbühne, auf der sein selbstproduzierter Film „In der Schreinerwerkstätte“ zu sehen war. Er parodierte den „wissenschaftlichen Lehrfilm“, indem er die Entstehung des Rausches an der offenen Hirnschale demonstrierte („Das Gehirn wird durch lauter eingefüllte Därme dargestellt in einem großen, dem Schädel ähnlichen Becken und ist beim Austrinken der ersten Flasche schon etwas beweglich. Bei der zweiten Flasche noch beweglicher usw. “, vermerkt die Regieanweisung). Er persiflierte die „Wochenschau“, indem er unentwegt Nichtssagendes in den Rang eines Medienereignisses hievte (wie realistisch, mag etwa der heutige „Reality-TV“ Zuschauer denken). Er träumte von der Erfindung einer Bildplatte als optisch-akustischer Heimkino-Version seiner zahlreichen Schallplattendialoge mit Liesl Karlstadt: „Valentiniaden“ am laufenden Band, Jahrzehnte vor der Erfindung des Video-Clips.
Im Juli 1937 schrieb Valentin an den für die Vorprüfung von Spielfilmentwürfen zuständigen „Reichsfilmdramaturgen“ Ewald von Demandowsky: „Die Filme, in denen ich bis jetzt beschäftigt war, wurden meiner Eigenart nicht gerecht, trotzdem sie ein Kassenerfolg waren. Meine Absicht ist es, den deutschen Groteskfilm zu schaffen, der sich den besten Amerikanern ebenbürtig an die Seite stellen kann. Material hierzu ist in Hülle und Fülle vorhanden, welches teils durch Zusammenkoppeln einiger meiner erprobten Bühnenstücke in Verbindung mit neuen Ideen, teils durch neue Einfälle bei mir bereitliegt. “
Über das, was da an Filmphantasien „bereitlag“ wird der Herausgeber des Bandes, der Kölner Theater- und Filmwissenschaftler Klaus Gronenborn, im Herbst anläßlich der Präsentation des Buches in Frankfurt sprechen. Genaue Angeben zu Ort und Termin entnehmen Sie bitte der Tages- und Fachpresse bzw. der nächsten Ausgabe von GRIP.
Kategorie: Rezensionen (Bücher und Film bzw. GRIP Kritik)
Schlagworte: Filmemacher*in, Filmkultur
