GRIP 11

01.07.1995

100 Jahre Kino

Das Jubiläum in Hessen

Von Claudia Dillmann

Die Feiern zum 100. Geburtstag des Kinos haben bereits begonnen, auch wenn strenggenommen der Jubiläumstag erst auf den 28. Dezember fällt, jenen Tag, an dem vor 100 Jahren die Brüder Lumière in Paris ihre kurzen Filme mit 16 Bildern pro Sekunde erstmals vor zahlendem Publikum vorführten. Auch wird in diesem Jahr der Skladanowskys gedacht, die am 1. November 1895 ihre „Lebenden Photographien“ im Berliner Wintergarten zeigten, Edisons und anderer, die zur Kinematographie - der Aufnahme und Wiedergabe bewegter Bilder-beigetragen haben. Der Film, das Medium des zu Ende gehenden Jahrhunderts, wird betrachtet, analysiert, kritisiert und gefeiert auf vielen Kanälen, in Artikeln, Ausstellungen und nicht zuletzt im Kino.

Auch in Hessen steht eine ganze Reihe von Veranstaltungen im Zeichen von 100 Jahren Kino. Das Jubiläum bietet Gelegenheit, auf die Besonderheiten Hessens in der Filmlandschaft der Bundesrepublik aufmerksam zu machen. Zwar ist das Land kein Filmproduktionsstandort, obwohl sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Chancen dafür geradezu aufgedrängt hatten; auch stand und steht es eher ratlos und skeptisch den Neuen Medien gegenüber, neuen Entwicklungen in der Produktion und Anwendung digital und analog erzeugter Bilder. Doch trotz dieser widrigen Rahmenbedingungen haben sich im Rhein-Main-Gebiet und darüber hinaus Verbände, Institutionen und Firmen etabliert, die alleine oder im Verbund der Region Zentralfunktionen zukommen lassen: für die Verbandspolitik der Filmwirtschaft, für die Filmwissenschaft, -forschung und -ausbildung, für die innovative Produktion.

Ihre Verbandspolitik betreibt die Filmwirtschaft in Wiesbaden, wohin sie nach dem Zweiten Weltkrieg den Sitz ihrer Interessenvertretungen verlegte, während die großen US- amerikanischen Firmen das benachbarte Frankfurt zur bundesdeutschen Verleihzentrale ausbauten. Stiftungen siedelten sich seitdem im Umkreis der Verbände an, Verwertungsgesellschaften, Vereine, Institute, Archive, spezialisierte Anwaltskanzleien folgten. Auch die Verbände der nichtkommerziellen Filmarbeit vertreten die Interessen ihrer Mitglieder von Hessen aus.

Neben diesem verbandspolitischen Schwerpunkt hat sich im Land ein Zentrum der theoretischen und künstlerischen Auseinandersetzung mit Film (und mit den Neuen Medien) entwickelt, dessen Wurzeln bis in die Weimarer Republik reichen zu Siegfried Kracauer und seiner Filmkritik und -theorie. Im erweiterten Rhein-Main-Gebiet wird intensiv über Film, seine Theorie, Ästhetik und Geschichte nachgedacht und geforscht: an Universitäten, in wichtigen Fachzeitschriften, Archiven, Akademien, Museen und in Instituten, welche die Zukunft der Bilder schon heute in ihren Computern heraufbeschwören. Etliche Studiengänge ermöglichen fundierte Ausbildung, wobei sich die Hochschulen in ihrer Ausrichtung rigoros unterscheiden: Einige bilden für die Praxis aus, andere vermitteln Theorie, dritte fördern die freie künstlerische Arbeit, wieder andere suchen Experiment und Anwendung miteinander in Einklang zu bringen. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Absolventen haben sich vergrößert durch eine Vielzahl von Dienstleistern, Anbietern, Produzenten, die sich in den vergangenen Jahren im Rhein-Main-Gebiet niedergelassen haben und sich unter anderem mit der Frage beschäftigen, wie Kommunikationsformen von morgen aussehen könnten.

Die Konzentration all dieser Einrichtungen in Hessen vorzustellen, ihr Potential möglichen Nutzern wie auch der Politik zu verdeutlichen, ist eine der Aufgaben der Borschüre „100 Jahre Kino - Das Jubiläum in Hessen“, die im Juni herauskam und kostenlos über das Filmhaus Frankfurt zu beziehen ist. Sie bietet den in Hessen beheimateten Einrichtungen die Möglichkeit zur Selbstdarstellung, dient ferner als Veranstaltungskalender und als Adressverzeichnis. Sie informiert über Ausbildungsmöglichkeiten und Förderung, nennt Ansprechpartner für Filmveranstaltungen. Sie stellt eines der Ergebnisse der Projektgruppe „100 Jahre Kino - Das Jubiläum in Hessen“ dar, die 1995 auf Anregung und mit finanzieller Unterstützung der Hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst entstand, um Informationen über geplante Jubiläumsfeiern in Hessen zu sammeln, Aktivitäten zu koordinieren und eigene Veranstaltungen zu organisieren. Ihr Ziel heißt, die Bedeutung des Films in diesem Jahrhundert und die Bedeutung des Kinos als sozialem Ort bewußt zu machen und über die Fachöffentlichkeit hinaus die Aufmerksamkeit auf die Bündelung wichtiger Film-Institutionen in Hessen zu lenken.

Entstanden ist dabei ein facettenreiches Jubiläumsprogramm:
Um Film als visuelles Gedächtnis unseres Jahrhunderts vorzustellen, recherchiert der Hessische Rundfunk in Zusammenarbeit mit der Projektgruppe die frühen Filme aus Hessen und ermöglicht ihre Umkopierung. Im Fernsehen und in den Kinos werden die Ergebnisse im Herbst vorgestellt. Für junge FilmkünstlerInnen, die am Institut für Neue Medien, an der Städelschule, der Hochschule für Gestaltung in Offenbach oder der Filmklasse an der Gesamthochschule Kassel studiert haben oder noch studieren, vermittelt die Projektgruppe Patenschaften von Firmen und Institutionen: die Stiftung der Deutschen Bank fördert ein Kurzfilmprojekt, der Hessische Rundfunk deren zwei, mit weiteren potentiellen Förderern ist die Projektgruppe im Gespräch. Veranstalter, die Open-Air-Kino, Stummfilmvorführungen mit Live-Musikbegleitung oder Laterna-magica-Schauen planen, werden von der Projektgruppe beraten. Kinos können bei der Projektgruppe Kurzfilmprogramme durch die Filmgeschichte buchen. Zehntausende von Besuchern des Hessentages in Schwalmstadt werfen an einem Ausstellungsstand einen Blick hinter die Kulissen der klassischen Filmproduktion.

Und außerdem:
In Wiesbaden widmet sich von August bis Oktober die Ausstellung „Rote Rosen & weißer Flieder“ der Aufarbeitung der Geschichte der Filmstadt Wiesbaden. Noch bis zum 2. Juli ist in Frankfurt eine Ausstellung zur Frankfurter Film- und Kinogeschichte zu sehen. Die Eröffnung der Bali-Kinos im Hauptbahnhof und eine Gala in Wiesbaden sorgen am I. November dafür, daß die Erinnerung an die Skladanwoskys präsent bleibt...

Für die Unterstützung des Programms dankt die Projektgruppe allen, die mit ihr zusammengearbeitet haben. Unser besonderer Dank gilt dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und den Förderern der FilmkünstlerInnen, der KulturStiftung der Deutschen Bank und und dem Hessischen Rundfunk.

Projektgruppe: 100 Jahre Kino: Deutsches Filmmuseum (Vorsitz) AG für kommunale Filmarbeit Bundesverband Jugend und Film Deutsches Institut für Filmkunde Filmhaus Frankfurt Hessische Filmförderung Landesfilmdienst Hessen Wirtschaftsverband der Filmtheater Hessen/Rheinland-Pfalz

Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)

Schlagworte: Filmkultur, Kino

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