GRIP 06

01.06.1993

Helmut Herbst anläßlich der Anhörung vor dem Hessischen Landtag

Während der Anhörung vor dem Ausschuß des Hessischen Landtages zur Frage der Hessischen Filmförderung am 27. April des Jahres sorgte die Rede von Helmut Herbst, Filmemacher und Professor an der Filmklasse der HfG Offenbach für einiges Aufsehen mit anhaltender Nachwirkung. Wir veröffentlichen Herbstens Rede im Wortlaut:

Von Helmut Herbst

Als wir 1979 mit der Rückendeckung des damaligen Bürgermeisters Hans- Ulrich Klose das Hamburger Filmbüro als eine von den Filmemachern selbstverwaltete Länder - Filmförderung gründeten, da wurde uns Mitgliedern des Gründungsvorstandes von allen Seiten das baldige Ende dieses "Experiments Selbstbedienungsladen" prophezeit.
Es war ja auch im Vergleich mit den Bayern und Berlinern eine lächerliche Summe, die unsere Gremien zu vergeben hatten: DM 1. 525. 000 zur Förderung von Spielfilmen und DM 650. 000 zur Förderung von Kurz, -Dokumentar - und Experimentalfilmen. Wir hatten damals eine sehr arbeitsintensive Zeit, Kulturbürokraten und Politiker aller Couleur sägten emsig an den ihnen zugänglichen Standbeinen des Modells, und um die Mittel flüssig zu machen, hat Alexander von Eschwege schon einmal einen privaten Kredit auf seine hessischen Ländereien aufgenommen.
Heute hat das Hamburger Förderungsmodell viele Väter, die alle gern eine Erfolgsstory erzählen und auf seine nachgewiesene wirtschaftliche und künstlerische Effektivität hinweisen. Auf der diesjährigen Berlinale kamen z. B.. beide deutsche Wettbewerbsfilme aus Hamburg: Thomas Mitscherlichs "die Denunziantin" und Detlev Bucks "Wir können auch anders" (Detlev Buck ist in gewisser Weise ein Paradepferd der Hamburger Filmförderung: denn bevor er an der DFFB in Berlin zu studieren begann, finanzierte das Hamburger Filmbüro dem völlig unbekannten Newcomer seinen ersten Film "Erst die Arbeit und dann. "Übrigens, wenn man sich die Preisträger des Hessischen Filmpreises in den letzten Jahren anschaut, dann dominieren dort auch die Hamburger Filme. Beim Erzählen dieser Erfolgsstory wird oft vergessen, daß sie auf einem Konzept beruht, daß die Filmemacher und nicht irgendeine Kulturbürokratie entworfen hatten. Es ist bis hin zu den von den Filmemachern berufenen Gremien ein Erfolg der Selbstverwaltung und nicht der Verwaltung. Ich sage das deshalb so deutlich, weil ich hier in Hessen, wo ich seit 8 Jahren ansässig bin, in der Filmpolitik eine ganz seltsame Mischung aus Verzagtheit, Desorientierung und Ignoranz festgestellt habe, aus der heraus im Zweifelsfalle am liebsten ein sicherer Hafen auf dem Schoß eines Bürokraten angesteuert wird.
Diese filmpolitische Konzeptionslosigkeit und Ignoranz paarte sich zuweilen aufs schönste mit dem mangelnden Selbstbewußtsein der in Hessen arbeitenden Filmemacher.
Aber diese Zeiten scheinen, zumindest was die Filmschaffenden anbetrifft, vorüber zu sein. (siehe auch Kurzfilmprogramm Kurz und Hessisch. Dieses Programm enthält übrigens drei Filme von HfG - Studenten.)
Eine erfolgreiche Medienstandortpolitik sollte, wie die erfolgreichen Beispiele in Deutschland zeigen, auf 5 Säulen gegründet sein:

  1. Auf eine gezielte ausreichende Förderung der unabhängigen Filmproduktion,
  2. Auf die Sicherung der Abspielbasis in den Kinos,
  3. Auf die Anbindung an eine kapitalkräftige und expandierende Medienindustrie in der Region,
  4. Auf ein oder mehrere Filmhäuser, in denen nicht nur die notwendige Koordination und Weiterbildung stattfinden, sondern auch ein Minimum an professionellen Arbeitsmöglichkeiten bereitgestellt wird, wie sie z. B. in Frankfurt bisher überhaupt nicht existieren,
  5. Auf eine effektive Filmausbildung.

Aus diesem miteinander verzahnten System lassen sich nicht einzelne Bestandteile herausbrechen, ohne daß das gesamte System gefährdet wird. Ich möchte in der gebotenen Kürze einige Anmerkungen zu diesen 5 Punkten machen.
Zu 1: Ausreichende Förderung unabhängiger Filmproduktion
Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß meiner Meinung nach die effektivste Form der Förderung einer unabhängigen Filmproduktion die selbstverwaltete ist. Andre Modelle müssen diesen Nachweis erst noch erbringen. Auch eine Medienwirtschaft, die überhaupt kein Interesse an einer Förderung unabhängiger Filme zeigt, wird indirekt von einer solchen Filmarbeit profitieren.
Zu 2: Sicherung der Abspielbasis in den Kinos.
Die vom Filmhaus Frankfurt vorgestellte Initiative zur Erhaltung der KinokuItur im Lande zeigt, daß die hessischen Filmmacher, angesichts der dramatischen Situation, für die Kinos Eigeninteressen zurückgestellt und ein Modell für die Sicherung der KinokuItur entwickelt haben. Auch dies ist ein Beispiel für den Konsens, daß man nicht zulassen darf, daß eine tragende Säule des Systems fällt.
Wir sind der Meinung, daß die Unterstützung der Kinos auf dem Lande und in den Städten an eine Förderung des europäischen und unabhängig produzierten Films geknüpft werden muß. Sonst geraten wir sehr bald mit dem europäischen und deutschen Kino in eine Situation, die man nur mit einem völligen Kahlschlag des subventionierten Theaters vergleichen kann. So wie dann in den Kinos nur noch die Filme der amerikanischen Major Companies laufen werden, so werden in den Theatern und Opernhäusern nur noch Musicals wie "Cats" oder "das Phantom der Oper" zu sehen sein.
Der neue französische konservative Kulturminister Jaques Toubon, der Nachfolger von Jack Lang, hat neulich in einem in der Frankfurter Rundschau veröffentlichten Interview gesagt: "Was den französischen Film angeht, gelte es, ihn zu verteidigen... " Ein weiterer Vormarsch amerikanischer Programme sei unvertretbar. Als Kampfmittel dagegen böten sich unabhängiger Verleih und unabhängige Kinosäle an. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch erwähnen, daß die in der "Arbeitsgemeinschaft Kino" zusammengeschlossenen deutschen Kinobetreiber unter dem Titel "Europas Kinos spielen Europas Filme" kürzlich ein Programm vorgestellt haben, daß sich in wesentlichen Punkten mit unseren Vorschlägen deckt und für die praktische Durchführung einige wichtige Anregungen gibt.
zu 3: Anbindung an die regionale Medienindustrie
Für die Entwicklung einer Infrastruktur und ihre Anbindung an die regionale Medienindustrie ist eine effektive praxisbezogene Filmausbildung unverzichtbar. Ich bin 1985 u. a. an die Hochschule nach Offenbach gegangen, weil ich dort für die expandierende Frankfurter Region eine effektive Filmausbildung aufbauen wollte.
Damit sind wir bei Punkt 5.
zu 5: Eine effektive Filmausbildung.
Zunächst eine Notiz für das hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst:
Verehrte Frau Ministerin, ich möchte Sie bei dieser Gelegenheit bitten, die Filmausbildung an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach zu beenden. Ich kann es nicht mehr verantworten, vom kommenden Wintersemester an neue Studenten in diesem Studienschwerpunkt aufzunehmen. Unter dem massiven Druck der Vertreter des Landes Hessen und der Stadt Offenbach ist in der Februarsitzung des Verwaltungsrates der HfG Offenbach der von den verfaßten Gremien der Hochschule entwickelte und unterstützte Stellenplan handstreichartig umgestürzt worden. Die bisher in aussichtsreicher Position auf Platz 1 stehende BAT Ila - Stelle für den Filmbereich existiert nicht mehr. Das heißt im Klartext, daß die bisher von Urs Breitenstein wahrgenommene Stelle eines 2. de facto- Professors nicht neu besetzt wird. Ich kann aber alleine nicht eine effektive curriculum-be- zogene Filmausbildung durchführen, ganz abgesehen davon, daß der geforderte Ausbau im personellen Bereich ignoriert wird. So fehlt z. b. für die Filmentwicklung und Kopierung immer noch der Laboringenieur. Das Filmkopierwerk wird von den Studenten in Selbstverwaltung betrieben. Zwar hat sich die Geräteausstattung etwas verbessert, aber es sind keine Mittel mehr vorhanden, Praktiker von außen für Kompaktseminare an die Schule zu holen, wie das in der Vergangenheit z. B. mit Thomas Mauch und Jan Schütte noch möglich war.
Selbst wenn alle meine utopischen Forderungen nach zusätzlichen 3 Stellen und einer besseren Ausstattung mit Mitteln erfüllt werden; würde das die jährlichen Kosten für den Filmstudienplatz an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach von jetzigen DM ca. 12. 000 auf nur etwa DM 20.000 hochtreiben. Der Studienplatz an der DFFB in Berlin kostet den Steuerzahler DM 130.000 pro Jahr, an den neuen Medienhochschulen kostet ein Studienplatz im Vergleich bis zu DM 200.000, am neuen Filminstitut in Hamburg an die DM 300.000 pro Jahr. Aber wir befinden uns ja in Hessen.

Vielen Dank für's Zuhören.

Kategorie: Gastbeitrag (ehemals Selbstdarstellungen von institutioneneigenen Mitarbeitern / ab GRIP 63)

Schlagworte: Filmförderung, Filmpolitik, Ausbildung/Weiterbildung/Studium, Wirtschaftsförderung

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