GRIP 06

01.06.1993

Das Deutsche Filmmuseum

Die aktuelle kulturpolitische Diskussion in Frankfurt wird durch Sparvorschläge, Streichungen, Sperrungen, Privatisierungsgerüchte bestimmt, steht unter Zeitdruck und im Zentrum innerparteilicher wie parteipolitischer Auseinandersetzungen.

Von Claudia Dillmann

Das verdeckt gegenwärtig die seit etwa eineinhalb Jahren innerhalb der filmkulturellen Szene aufgestellten Fragen, wie deren Exponenten sich und ihre Aufgaben definieren, wie sie zueinander stehen, wie sich der "Wildwuchs" (Linda Reisch) ordnen ließe, welche Formen der Zusammenarbeit sich nach geregelter Struktur ergeben könnten. Die der Szene aufgezwungene aktuelle Debatte führt einerseits zum solidarischen Schulterschluß, wenn eine Institution wie das Kommunale Kino von der „Privatisierung" (gleich: der Schließung) bedroht ist; andererseits kann sie vorhandene Konkurrenz – nicht zuletzt im Kampf um die öffentliche Anerkennung, Legitimierung und in deren Folge um öffentliche Unterstützung – verstärken. Das Deutsche Filmmuseum sieht sich durchaus in diesem Spannungsfeld, da es als rein kommunal getragene Institution sich in vollständiger finanzieller Abhängigkeit von der Stadt weiß. Andererseits vertritt es als bislang einziges Spezialmuseum seiner Art in Deutschland einen notwendigerweise über den kommunalen Rahmen hinausweisenden Anspruch, der sich in seinen Sammlungen, Ausstellungen und seiner filmwissenschaftlichen Arbeit manifestiert. Das Haus vereint also durchaus heterogene Arbeitsbereiche, Programmatiken, Wirkungsfelder.
Sein Kommunales Kino ist eingebunden in das lokale Filmangebot mit der Auflage, Nischen zu besetzen, die von anderen hinterlassen werden - eine Auflage, die Bereitschaft zu ständiger Standortbestimmung und Programm-Revision verlangt.
Das Museum ist Teil des auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ("Standortfaktor" Kultur) verwirklichten Projekts "Museumsufer", dessen Attraktivität sowohl für die Frankfurterinnen, als auch für Besucherinnen aus der Region sowie für Touristinnen behauptet werden muß;
- Die Dauerausstellung wird besonders am Wochenende von vielen Familien aus Frankfurt und der Region besucht, häufig sind dabei die Kinder und Jugendlichen Motor des Besuchs. Außerdem gehört das Kennenlernen dieser Ausstellung zum Programm zahlreicher Schulklassen aus Frankfurt und Umgebung;
- Die Wechselausstellungen ergänzen die Dauerausstellung, sprechen dabei aber ¡e nach Thema andere Zielgruppen an: die Ausstellungen beispielsweise zum Filmavantgardisten Hans Richter, zu Eisensteins Werk im Kontext der russischen Avantgarde, zu filmhandwerklichen Aspekten (Ausstattung, Kostüm), historische Ausstellungen (Der Ostdeutsche Nachkriegsfilm, aufgearbeitet in drei Ausstellungen und Katalogen) Produktionsbegleitende Ausstellungen (bsp. zu John Boorman'“Hope and Glory“) brauchen ein spezifisches Publikum zum Erfolg, ein Publikum, das nach unseren Beobachtungen durchaus das Kommunale Kino häufiger besucht, dem das Museum aber fremd ist; Das kann zu der - in unseren Augen: paradoxen - Situation führen, daß das die Hans-Richter-Ausstellung begleitende Filmprogramm von der Zielgruppe gesehen, die Austeilung selbst aber, welche die Verbindungen von Film und Bildender Kunst in Richters Arbeit thematisierte und zum tieferen Verständnis der Filme beitragen wollte, von eben dieser Zielgruppe nicht wahrgenommen wurde. Das ereignete sich 1983, seitdem haben wir durchaus ein neues Publikum gewinnen können. Doch Berührungsängste blieben, auf die ich weiter unten eingehen möchte;
- Die Sammlungen des Hauses zur Produktion und Rezeption von Film haben sich in den vergangenen Jahren enorm erweitert, was nicht zuletzt auf die rege Akquisition während der Wechselausstellungs-Vorbereitungen zurückzuführen ist. In der Auswertung arbeiten wir mit verschiedenen Institutionen (Cinémathèque française, Turiner Filmmuseum, CineGraph Hamburg, Nationalfilmographie etc.) sowie mit Studenten und Filmwissenschaftlern zusammen. Das Material ist frei zugänglich.
- Weitere Sammlungsschwerpunkte sind jene zu Ausstattung und Kostüm sowie zu Musik und Film. Die Musikabteilung arbeitet regelmäßig mit dem ZDF und mit Veranstaltern von Stummfilm-und Musik-Konzerten (Alte Oper) zusammen, zuletzt bei Pudovkins "Die letzten Tage von St. Petersburg) im vergangenen Winter.
- Das Gerätearchiv umfaßt vorkinematographische Geräte sowie Kameras, Projektoren und Musikgeräte, die einen Überblick über die technische Entwicklung erlauben;
- Das Filmarchiv, in dem etwa 5000 Titel liegen, setzt deutliche Schwerpunkte auf den klassischen Avantgarde-/Animations- /Werbefilm und auf Produktionen des Neuen Deutschen Films. Hier lagern die Filme Richters, Fischingers, Reinigers, Pinschewers, Thomes, der Straubs, Schillings, Feldmanns, Giefers etc.
Publikationen hat das Museum - neben seinem monatlich erscheinenden Programheft - vor allem als Kataloge zu den Wechselausstellungen und zur Dauerausstellung herausgegeben.
Einige Bücher der letzten Jahre, insbesondere die zum westdeutschen Nachkriegsfilm wurden von der deutschen Kritik als „Standardwerke“ bezeichnet. Als solches gilt auch das "Ariel Cinematographica Register - Handbuch der Filmtechnik“, dessen fünfter Band gerade entsteht. Das Museum hat ferner die Herausgabe von Publikationen unterstützt: Schlüpmanns „Unheimlichkeit des Blicks“, die neuen Zeitschriften „Film und Kritik“ und „Kintopp“ Es arbeitet immer gegenwärtig an der Herausgabe einer Nationalfilmographie mit und unterstützt personell die Arbeit des Lern- und Dokumentationszentrums zur Geschichte des Holocaust.
Veranstaltungen bietet das Museum vornehmlich im Kommunalen Kino (Filmanalysen, Einführungen, Diskussionen mit Regisseuren etc. ), aber auch zur Begleitung von Ausstellungen (Podiumsdiskussionen zur Lage des deutschen Films, Interviews mit Kameramännern, Produzenten, Schauspielern) an.
- Mit all diesen Aufgabenfeldern ist das Deutsche Filmmuseum Mitglied im Kinematheksverbund, der die Aufgaben einer zentralen deutschen Kinemathek wahrnimmt, und Mitglied der FIAF, des internationalen Zusammenschlusses der Filmarchive. Es ist wesentlich an den Vorbereitungen des Jubiläums "100 Jahre Film" auf nationaler Ebene beteiligt.
Qua dieser Aufgabenstellung hat das Museum folglich lokal, regional, landesund bundesweit sowie international zu arbeiten, zu kooperieren, sich auseinanderzusetzen und zu wirken. Gerade auf lokaler Ebene gelingt die Zusammenarbeit nicht immer in befriedigendem Maße. Das liegt als erstes sicherlich daran, daß sich Interessenkonflikte, Konkurrenzsituationen und Probleme aus den besonderen Auflagen für das Koki ergeben, welche zu einer Fülle von Absprachen (Open air, Veranstaltungsreihen, Filmschau, Zusammenarbeit mit der Universität, Premieren etc.) zwingen, die nicht immer leicht zu treffen sind;
2. wirken in Frankfurts Filmszene häufig Einzelinteressen, die für eine Institution häufig schwer durchschaubar sind
3. gibt es innerhalb der Filmszene mit Sicherheit einen politischen Vorbehalt gegenüber institutionalisierter filmkultureller Arbeit.
In einer dieser Filmhaus-Debatten in denen es immer auch um Legitimierung und Geld ging, kam das Wort von der "anachronistischen Repräsentationskultur" auf. Das klingt zwar veraltet, aber noch immer "irgendwie“ kämpferisch: hie die fette, hermetische Institution, dort die kleinen, flexiblen, mehr an den Bedürfnissen der Basis orientierten Gruppen. Anders ausgedrückt: hie das Geld, dort die schiere Not gepaart mit Kreativität – ein krampfhaft aüfrecht erhaltener Antagonismus. Zumal sich die Initiativen – wie im Fall des Filmhauses-selbst zu Filmpolitik betreibenden Institutionen entwickeln und sich von ihren ursprünglichen Zielen, in diesem Fall: filmpraktische Arbeit zu ermöglichen, mit der Zeit (zwangsläufig) entfernen;
4. wird zumindest das Museum in der Frankfurter Filmszene möglicherweise deshalb nur rudimentär wahrgenommen, weil es in der Dauerausstellung und in etlichen Wechselausstellungen eher den populären Film, dessen Produktion, Ästhetik und Rezeption thematisiert und damit für diejenigen, die den "anderen Film" wollen und schaffen, indiskutabel ist. Es ließen sich noch andere Gründe aufführen, aber die Diskussion von Strukturen, Inhalten und Ansprüchen scheint mir vielversprechender.
In der Tat ist das Museum - für die Dauerausstellung gesprochen - ein populäres. Mehr als zwei Millionen Besucherinnen zählte das Haus seit seiner Eröffnung im Jahre 1984. Rund 115. 000 kamen im vergangenen Jahr, dazu rund 35. 000 Besucherinnen des Koki. Das Museum ist - trotz der seit April diesen Jahres erhobenen Eintrittspreise - noch immer eines mit der niedrigsten Hemmschwelle für Kinder, Jugendliche und Familien. Der Vorwurf bürgerlicher Repräsentationskultur trifft folglich nicht die Praxis, und den entqeqenqesetzten, elitären Einwurf einer zu intensiven Auseinandersetzung mit dem populären Film lassen wir aus inhaltlich-didaktischen Gründen (Mythenbildung durch populären Film, Einfluß Hollywoods etc. ) nicht gelten.
Als Institution müssen wir uns wahrnehmen, auch als Dienstleister für Besucherinnen, Medien, Fachöffentlichkeit.
Verwaltungsarbeit bestimmt häufig den Alltag, mehr als uns lieb sein kann. Die Ausstellungen, Sammlungen, Archive und der laufende Betrieb werden von drei Filmwissenschaftlern betreut, der verfügbare Etat beträgt in diesem Spar-Jahr statt der im Haushalt verabschiedeten 791000. - Mark lediglich 540. 000. - Mark, mit denen insgesamt drei Ausstellungen, der laufende Unterhalt der Dauerausstellung, Führungen, Veranstaltungen, Publikationen finanziert werden müssen. Das Kino spielt bei einem Etat von rund 400.000 Mark rund 200. 000 Mark wieder ein, finanziert mit seinen verfügbaren Mitteln das Programmheft, die Werbung, Veranstaltungen und das Internationale Kinderfilmfestival. Eine Ganztags- und eine Halbtagskraft realisieren das: Kinoprogramm und das Programmheft, das Filmprogramm wird von Walter Schobert, dem Direktor, zusammengestellt. Zum Personal gehören noch: Eine Volontärin (deren Stelle von Streichung gefährdet ist), zwei Restauratoren, drei Vorführer, Kassiererinnen, Aufsichten für die Ausstellungen, eine Handwerkerin, eine Arbeiterin, eine Bibliothekarin, eine FotoDokumentaristin, ein Betriebsangestellter, eine Verwaltungsangestellte, eine Schreibkraft und eine Sekretärin. Weil ein festangestellter Archivar fehlt, beschäftigen wir freie studentische Aushilfskräfte. Das war's.
Solche Bedingungen - Personalknappheit, Kürzungen, Sperrungen - bestimmen den laufenden Betrieb, erfordern von einem kleinen Team Flexibilität, Phantasie, Offenheit. Das ist kein Nährboden für Verkrustungen, und Hermetik ist nicht unsere Reaktion.
Offen haben wir gegenüber dem Filmhaus auch Ansprüche vertreten: Beispielsweise den, daß das Filmmuseum das einzige Filmarchiv in dieser Stadt bleibt und mit öffentlichen Geldern nicht der Aufbau zweier Sammlungen finanziert werden darf (Die Verhandlungen über eine geregelte vertragliche Zusammenarbeit dauern an); daß wir es als unsere ureigene Aufgabe betrachten, zum 100. Jubiläum des Films eine Ausstellung und Publikation zu "100 Jahre Kino in Frankfurt" zu erarbeiten, daß wir dafür die erste Adresse für Sammlungen bleiben; daß die Hauptaufgabe des Hauses, Film und dessen Geschichte didaktisch zu vermitteln, nicht von anderen städtisch finanzierten Gruppen mit übernommen werden kann.
Grundsätzlich wie diese Positionen ist unsere Bereitschaft, zu kooperieren. Ein Weg dorthin ist zunächst ein besserer Informationsaustausch! über Planungen, Projekte, Probleme; ist die Einsicht, in diesen Zeiten enger zusammenrücken zu müssen statt Institution und freie Gruppen gegeneinander auszuspielen; ist eine gemeinsame Diskussion über die künftige Filmkultur und Filmpolitik in Frankfurt; wäre die Freude über geäußertes Interesse an unseren Sammlungen, Ausstellungen, dem Filmarchiv - das uns bisher nur von Filmemacherinnen außerhalb Frankfurts erreicht; ist ein gemeinsames Nachdenken über "100 Jahre Film" in Frankfurt; wäre die Nutzbarmachung der vorhandenen Ressourcen.
Der erste Schritt könnte dieser Artikel sein, zu dem mich die "grip"-Redaktion ermuntert hat, der nächste ein Treffen in diesem Haus mit der Möglichkeit, seine Arbeit und seine Angebote besser kennenzulernen. Wir würden uns freuen.

(Die Autorin ist Filmwissenschaftlerin, Journalistin und stellvertretende Direktorin des Deutschen Filmmuseums)

Kategorie: Gastbeitrag (ehemals Selbstdarstellungen von institutioneneigenen Mitarbeitern / ab GRIP 63)

Schlagworte: Institution, Kulturförderung, Filmpolitik, Kino

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