GRIP 06
01.06.1993
A cinema that looks at itself IV
Vom Umgang mit Filmen: LUDWIG
Von Eckhard Schleifer
Einen Höhepunkt in der Visconti-Reihe im ZDF war die Ausstrahlung der deutsch synchronisierten integralen Fassung von LUDWIG: ein weiteres Stück Wiedergutmachung am Werk des großen Regisseurs, deren Geschichte die folgenden Zeilen aufrollen.
Den ersten Eingriff in seine intendierte Konzeption muß Visconti auch bei “LUDWIG” schon in Italien hinnehmen (wenn auch nicht durch die staatliche Zensur wie bei “SENSO” und “ROCCO”): der auf 4 1/2 Stunden angelegte Film ist, so wollen es die Produzenten aus ökonomischen Gründen, auf 3 Stunden zu kürzen. “Wenn Luchino nicht krank gewesen wäre” - nach Abschluß der Dreharbeiten erleidet der Regisseur im Juli 1972 einen Schlaganfall, der ihn halbseitig lähmt -, “hätte er all die Schnitte nicht akzeptiert”, ist seine langjährige Drehbuchautorin Suso Cecchi d’Amico überzeugt. So kürzt Schnittmeister Ruggero Mastroianni den Film praktisch alleine. Eine erste Version, in der u. a. die “Tristan”-Aufführung und die Beerdigung Wagners bereits fehlen, dauert aber immer noch 4 Stunden 1o min. Schließlich bei 184 min angelangt, ist nicht nur für den Cutter “ohnehin alles unverständlich geworden”.
Unverständlich, weil ähnlich der Trennung von Liebe und Politik bei “SENSO” (s. GRIP Nr. 3 / 92) die Gesamtkonstruktion zerstört ist, nämlich “die schwierige und schmerzliche Untersuchung, die” - so Minister Holnstein - “ergeben soll, ob unser Herrscher noch in der Verfassung ist, unser unglückliches, verachtetes und gequältes Bayern zu regieren, ohne das hartnäckige Vertrauen seines Volkes zu verraten. ” Darum geht es in “LUDWIG”, dies ist die Perspektive, aus der der “klinische Fall” (Visconti) bis zur Absetzung des Königs aufgerollt wird. Holnstein, der erste “Zeuge”, ruft dann die Thronbesteigung Ludwigs in Erinnerung, den “Tag, der uns voller Illusionen und Hoffnungen vereint sah, um unserem jungen König zu applaudieren, der die Herrschaft des Landes übernahm”, was der Film anschließend zeigt. Da Holnsteins Aussage in der Internationalen 184 min- Fassung (IntF) fehlt (wie sechs weitere Zeugenauftritte), ist die große Klammer des Films (die Regierung sitzt über den König zu Gericht) ebenso aufgelöst wie die enge Verknüpfung von subjektiver Aussage und objektiver Darstellung, aus der sich das überaus komplexe Ludwig-Mosaik zusammensetzt.
Statt chronologisch der psychopathologischen Entwicklung Ludwigs beizuwohnen, die genau kalkuliert von erzählenden bzw. kommentierenden Passagen unterbrochen wird, katapultiert uns die IntF sofort nach den Krönungsfeierlichkeiten zu den Regierungsvertretern, die sich aufmachen, den König zu verhaften. Bei einer so chaotischen Montage bleibt natürlich kein Platz mehr für ein Ermittlungsverfahren. Auch die in der IntF wie spärliche Relikte verbliebenen Zeugenaussagen erscheinen oft völlig unmotiviert und deplaziert; so sagt etwa der Diener Hornig zugunsten Ludwigs aus, nachdem er - anstatt bevor er - als Figur in die “Binnenhandlung” eingeführt ist und ihn Ludwig, der "der Versuchung der Sünde" Homosexualität nicht mehr widersteht, geküßt hat.
Die Darstellung des Tabus Homosexualität hatte Visconti schon während der Dreharbeiten wütende Proteste der bayrischen Ludwig-Fangemeinde eingebracht, die forderte, der König müsse “sauber bleiben ”. Dabei hat die IntF das Dienerfest in der HundingHütte schon um die nackten Burschen “entschärft”, die “wie phantastische Früchte in den Zweigen der Weltesche” hängen (H. -J. Syberberg), und es bei einem Jüngling mit bloßem Oberkörper bewenden lassen, dem Ludwig das blonde Haar streichelt. Doch was in “SENSO” der historisch-politische Aspekt mit seiner revolutionären Dimension und bei “ROCCO” Vergewaltigung sowie Mord, ist bei “LUDWIG” die Homosexualität. Nach der Galapremiere der synchronisierten IntF am 18. Januar 1973 in Bonn katzbuckelt der Gloria-Verleih vor den Kinobesitzern, Politikern wie F. -J. Strauß, dem Hause Wittelsbach und den Köhig-Ludwig-Klubs, indem er den “zu langen” Film zu einer Farce von 143 min zusammenschnurren läßt.
Wie vorher schon bei “SENSO” der Europa- und bei “ROCCO” der Bavaria-Filmverleih, betreibt auch Gloria eine konsequentunverschämte Desinformationspolitik: Visconti selbst “überarbeite” den Film “noch einmal ” und zwar “unter keinen anderen als künstlerisch-dramaturgischen Gesichtspunkten”. Wenn es nicht so traurig wäre, müßte man schallend loslachen wie Romy Schneider im Spiegelsaal von Herrenchiemsee. So fragt nicht nur Syberberg angesichts dieses Torsos konsterniert: “Wo blieben die schönsten Szenen des Films, die ich noch in der Bonner Premiere sah, von deren wichtigster (Hunding-Hütte E. S. ) ich weiß, daß sie in Rom und Wien intakt sein soll? ”
Doch diesmal kommt der Verleih nicht ungeschoren davon; Visconti erwirkt per einstweiliger Verfügung ein Aufführungsverbot des “Fleckerlteppichs”, da die ohne seine Zustimmung vorgenommenen Schnitte sein Urheberrecht verletzen. So wird es November 1979 - Gloria hat inzwischen, Strafe muß sein, Bankrott gemacht -, bis der Verleih NEF 2 die IntF erneut in die Kinos bringt. Zu diesem Zeitpunkt haben frühere Mitarbeiter, Freunde und Verwandte Viscontis die Rechte an “LUDWIG” bereits zurückgekauft und Suso Cecchi d’Amico rekonstruiert zusammen mit Ruggero Mastroianni den Film (finanziert von der RAI) nach Viscontis ursprünglicher Konzeption. “Ich bin sehr glücklich”, so die Drehbuchautorin, “daß wir nach Luchinos Tod alle den vollständigen LUDWIG im TV so sehen konnten, wie er ihn sich vorgestellt und ihn auch gedreht hatte. ” Der Fernsehausstrahlung vorangegangen war 198o die Uraufführung der Integralen Fassung (IF) während des Filmfestivals von Venedig.
Neben der oben schon besprochenen Gesamtstruktur ist dem Film auch sein eigentlicher Rhythmus, ein langsamer Walzer, zurückgegeben. Auch auf die ‘richtige’ Musik dürfen wir uns freuen. So müssen unsere Ohren z. B. bei Elisabeths und Ludwigs gemeinsamen nächtlichen Ausritt nicht länger die “hoppe, hoppe, Reiter”-Klavierakkorde erdulden, sondern dürfen sich passend zu Ludwigs Zitat aus der 2. Szene des 3. Aktes von LOHENGRIN den Orchesterklängen aus dieser Wagner-Oper hingeben. “Wie süß mein Name Deinem Mund entgleitet”, sagt Elsa in der genannten Szene zu Lohengrin. Wie spröde klingt es da, wenn sich Elisabeth und Ludwig in der IntF (und leider auch noch in der ZDF Version)gestelzt siezen müssen und die beiden “verwandten Seelen” sich nicht duzen dürfen (auch Wagner und von Bülow verweigert die IntF im nachhinein das ‘Du’).
Ähnlich wie bei “SENSO” wurde bei anderen Szenen wiederum einfach Musik hinzugefügt: Elisabeths und Ludwigs erste “schneeflockige” Begegnung in Bad Ischl hat die IntF kurzum mit einer romantischen Musik unterlegt, was in die allgemeine Tendenz paßt, “Romy Schneiders brennesselscharfe Anti-Sissy” (Ponkie) doch irgendwie auf das liebliche 50er Jahre-Image zurückzutrimmen. Eine kurze Szene mit Romy Schneider haben Cecchi d’Amico und Mastroianni übrigens für ihre Fassung nicht berücksichtigt; die 19 sec, in denen Elisabeth, von einem Schleier bedeckt, auf dem Totenbett liegt, werden wir aber im ZDF sehen. Dem Umstand, daß Visconti meist mit drei Panavision-Kameras drehte, ‘verdanken’ wir unterschiedliche ‘takes’ derselben Einstellungen. Ruggero Mastroianni schlief daher nach eignen Worten bei der Montage leicht ein, “weil es etwas ermüdend (... ) war, dieselbe Einstellung fünfzehn Mal zu sehen” (jede Kamera durchschnittlich je 5 Aufnahmen). Dabei wird der Cutter aber kaum Unterschiede wie den folgenden gutheißen: In der IntF ist im Zirkus Elisabeth abgeschnitten, während sie die IF so zeigt, wie es sein muß: überlegen und angebetet (siehe nebenstehnde Bilder). Viel größeren Raum als in der IntF nimmt auch die Entmachtung Ludwigs durch seine Minister ein; in einer 51/2 minütigen Szene tragen diese Ludwigs Onkel Prinz Luitpold die Regentschaft an, müssen sich aber vom integren Dürckheim vorhalten lassen, die Verantwortung der Regierung sei viel größer als die des Königs. Überhaupt spielt Holnstein nun eine viel zwielichtigere Rolle, die ihn, der die ganze Zeit über alle Fäden in der Hand hält, quasi zum “Königsmörder” macht.
Im ZDF bekommen wir die fast vierstündige Rekonstruktion deutsch synchronisiert zu sehen; dazu mußten die in der IntF fehlenden Szenen nachsynchronisiert werden, was aber bei Romy Schneider (Elisabeth) und Gert Fröbe (Pater Hoffmann) schlecht möglich war. Doch sollte ein Voicecomputer dafür sorgen, daß wir als Zuschauer keinen Unterschied zwischen der Original- und der Double-Stimme erkennen. Ganz geschafft hat er nicht.
Zum Schluß noch ein Zitat aus der WELT (v. 29. 1. 8o) zur oft beklagten Länge (nicht nur) von “LUDWIG”: “‘Sehr viele Noten’, lautete die kaiserliche Kritik zu ‘Die Entführung aus dem Serail’. ‘Grad so viele wie nötig sind’, lautete Mozarts schlagfertige Antwort. Und das gilt eben nicht nur für Opern, sondern auch für Filme. Und dies um so mehr, wenn ein Film wie eine Oper komponiert ist”.
Kategorie: Rezensionen (Bücher und Film bzw. GRIP Kritik)
Schlagworte: Filmtheorie/Filmwissenschaft, Spielfilm
