GRIP 05

01.03.1993

Kunst und Leben

Von Samstag, dem 30.1. bis Mittwoch, den 3.2 .93 zeigten neunzehn Studentinnen und Studenten der Filmklasse der Städelschule unter dem Titel STAEDEL FILMMACHER in der Galerie Paul Sties eine Auswahl ihrer Filme.

Von Roland Krüger

An den fünf Tagen war ein Programm von jeweils einer knappen Stunde Dauer zu erleben, das zweimal gezeigt wurde - um 19 und um 21 Uhr. Die Filme waren meist sehr kurz, zwischen 0. 5 und 20 Minuten, meistens 3 Minuten, was einer Rolle Su­per-8-Material bei 18 Bildern pro Sekun­de entspricht. Alle Filme waren in S8 und meist ohne Ton.
Daraus ergibt sich schon, wie diese Filme gemacht sind: Direkt in der Kamera, ohne nachträgliche Schneidetischbearbeitung.
Der Vorteil von S8 ist die extrem einfache Handhabung der Kamera. Sie ist leicht und gegen Temperaturveränderungen und Stöße wenig empfindlich. Sie kann jederzeit und überallhin mitgenommen werden. Dies ermöglicht Aufnahmen, die mit aufwendigeren Geräten nicht möglich sind.
Der Schnitt dagegen ist bei dem kleinen Format problematisch, die Mühe lohnt den Zeitaufwand nicht; sauberer A/B- Schnitt wird von Kopierwerken gar nicht erst angeboten und ohnehin gibt es in Deutschland nur noch ein Kopierwerk, das Aufträge für S8 annimmt. Auch die Bearbeitung des Tons ist umständlich. Die Projektionsqualität im Kino muß aber nicht so schlecht sein wie oft behauptet, mit einem hellen Projektor ist sie besser als bei einer Videoprojektion.
Für Filmkünstler kann S8 interessant sein, weil es durch seinen geringen Preis finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht. Damit können dann Filme gemacht werden, die nicht den marktwirtschaftlichen Regeln unterworfen sind, die normalerweise ganz entscheidend Form und Ästhetik von Fil­men prägen. Obwohl an der Städelschule gute Arbeitsbedingungen für 16mm vorhanden sind, wird zur Zeit in der seit 1978 von Peter Kubelka geleiteten Filmklasse hauptsächlich mit S8 gearbeitet. Die Vorführung in der Galerie Stieß gab einen guten Überblick. Sehr zu loben ist der Galerist, der immerhin für 5 Tage seine Räume in der Innenstadt zur Verfügung stellte. Die sonst hier gezeigte moderne Kunst unterscheidet sich signifikant von den Filmen aus der Städelschule. Es wer­den zum Beispiel Alltagsgegenstände in den ästhetischen Zusammenhang einer Galerie gebracht, in der Tradition Duchamps und der Pop Art der 60er Jahre. Die Filme dagegen zeigen zwar oft ebenfalls Alltagswelt, bearbeiten diese aber aus einer persönlichen Sicht heraus, ohne Kunstästhetik und Verallgemeinerungsanspruch.
Die äußeren Bedingungen für die Veran­staltungen waren sehr gut: nach Zahlung des eher zu niedrigen Eintrittspreises kam man in einen Vorraum (fürs Reden und Trinken) und schließlich in den kleinen Vorführraum, der Platz für etwa 30 Besucher hatte, was zumindest bei einigen Spätveranstaltungen zu eng war. Der Raum war optimal abgedunkelt, mögliche Störungen durch Zuspätkommende wurden verhindert.
Die Filmmacher führten ihre Filme in der Regel selbst vor. Gespräche über die Filme konnten nach den Vorführungen im Vorraum in kleinem Rahmen, aber nicht allgemein geführt werden. Dies wäre si­cher für einige Zuschauer interessant gewesen, da die Filme nicht gerade gängigen Mustern entsprechen.
Die Unterstützung durch Textmaterial war nicht schlecht. Immerhin bekam man am Eingang eine Liste der gezeigten Filme in die Hand, mit einer allgemeinen Einfüh­rung und gelegentlich einem Blatt von einem Filmmacher/in, jeweils mit sehr unterschiedlichem Schwerpunkt und Ge­halt, was auch der Unterschiedlichkeit der Filme Rechnung trägt.
Die Filme waren weitgehend stilistisch passend sortiert, so daß man an manchen Abenden den Eindruck haben konnte, daß alle Filme ähnlich seien - was einer­seits überhaupt nicht stimmt, andererseits weisen sie doch einige übergreifende Gemeinsamkeiten auf.
Anja Czioska schreibt zu ihren Filmen unter dem Titel AUS: MEIN LEBEN MIT DER KAMERA: Der Tag beginnt, indem ich meine Kamera in die Hand nehme und filme: Alltägliches, sich übers Leben hin gleichförmige Dinge, z. B. Duschen, Ba­den, Frühstücken. Ich dokumentiere mein Leben und das derjenigen, die mich um­geben und mit mir leben... Meine S8- Filme sind in der Kamera geschnitten und geben so meine gesehene Welt chronologisch wieder.
Dies ist eine gute Beschreibung dessen, was hier meist zu sehen war, wenn auch nicht immer derartig explizit. Interessanterweise werden hier die großen Themen der Malerei seit dem 18. Jahrhundert wiedererweckt: Porträt, Akt, Stilleben, Landschaft, erweitert um die Dinge, die das Alltagsleben junger Künstler ausmachen: Haare schneiden, Familien­spaziergang, Segeln, Reiten, Grillen, Tan­zen, Schlafen, Radfahren, Grasmähen, Spaghetti essen. Selten kommen Dinge vor, die in der Kunst dieses Jahrhunderts großen Stellenwert haben, wie Arbeitswelt, Geschäftswelt, Konsumwelt, Tod, Ras­sismus, Krieg, Sex, Kosmos, Technologie - und nicht zuletzt auch Abstraktion, Kom­position, Konkretion, Realität und Simulation. Ich habe mir lange überlegt, wo der etwas brave, harmlose Gesamteindruck dieser Filmvorführungen herrührt.
Das hängt wohl mit diesen nicht ange­schnittenen Themen zusammen. Leben ist eben doch wesentlich mehr als nur das Abbild dessen, was man gerade tut. Oder man lebt falsch. Gleichzeitig ist die weitgehend unmodische Ästhetik und Weitsicht in diesen Filmen erfrischend. Solche Ar­beiten werden noch ihre Gültigkeit ha­ben, wenn schon längst 15 weitere Gene­rationen von Post-Beat, Hip, Pop, Morphing und 3d-Effekten per MTV auf die Menschen herniedergeprasselt sind.
Bemerkenswerterweise erfüllen Anja Czioskas Filme ihr oben beschriebenes Konzept der Lebensabbildung nur zum Teil. Sie wären wohl todlangweilig, wenn da nicht noch eine gute Prise Poesie zu erkennen wäre, wenn sie beispielsweise BERNIE AM STRAND zeigt - auf eine Weise, die weit über das hinausgeht, was Strandfilme sonst zu bieten haben - mit diesem Suchen, Zurückweichen, Her­ angehen. Andere Filme Czioskas sind zum großen Teil eher belanglos, mit man­chen plötzlichen Höhepunkten.
Ihr Freund Bernhard Schreiner zeigt sie auf eine ganz andere Art in dem Film GRILLEN: einfach nebenbei, im Vorüber­ gehen, während irgendein Objekt im Hin­tergrund sein Interesse fängt. Die Men­schen werden genauso wichtig oder unwichtig wie die Dinge. Dieser Film ist für mich einer der interessantesten, trotz des Themas, weil er eine sehr spannende Harmonie der Bewegungen, Schnitte und Interessen aufweist, die ihm in einem and­eren Film SEGELBOOT völlig mißlingt.
POLIZIST ist ein großer Glückstreffer: Ein Straßenpolizist mit prägnanten, lächer­lich wichtigtuerischen Gesten, die sich noch steigern, als er sich beobachtet fühlt. Dies gefilmt mit bei S8 größtmöglicher Zeitlupe, 80 Bilder pro Sekunde.
Thomas Draschan und Eva Schmid haben offenbar tatsächlich immer die Kamera dabei. Draschan beschäftigt sich mit The­men wie GÜNTER BEIM DUSCHEN, EVA IN DER SCHWEIZ, HAARE SCHNEIDEN und SCHWIMMEN, die er mit einem gleichförmigen, hektischen, beliebig schei­nenden Schnittstil bearbeitet. Die Titel mit den Vornamen weisen bereits auf das Private hin, das hier in Filmform veröffent­licht wird, ohne allzu persönlich zu wer­ den.
Neben Familienbeobachtungen hat Eva Schmidt in PORTRÄT l+ll ein weitergehen­des Konzept, dessen Idee interessant ist, aber als Film nicht richtig funktioniert: Sie filmt eine Szene sich, in der nächsten ihr Gegenüber, in der nächsten wieder sich usw., das alles wieder im Alltagsleben.
Das Ergebnis ist ziemlich unzusammen­hängend und filmisch trocken, denn man sieht ständig Schnitte wie Gesicht-Zimmer­ Gesicht-Leute-Gesicht-Gesicht, wobei we­der Mimik noch Handlung zum Hinschauen reizen. Ein Grundgedanke ist sicher die Hoffnung, daß sich das eigentlich Wichtige aus dem Konzept zwangsläufig wie von selbst ergibt, was mir aber verschlossen blieb.
Milena Gierke hat über Monate hinweg ein ähnliches Konzept verfolgt: sie hat sich stündlich in kurzen Sequenzen selbst ge­filmt. Damit formt sich im fertigen Film tatsächlich ein Eindruck von Lebens­abbildung. Außer, daß der Hintergrund ständig wechselt, da sie viel unterwegs ist, lassen sich in ihrem Gesicht auch Stimmungen ablesen, die aber sehr stark durch die einfache Tatsache überschattet sind, daß sie jeweils nur sehr kurz auf die Kamera drückt und damit den Effekt des sich selbst Beobachtens nie zum Verschwin­den bringen kann. Wenn Andy Warhol über hundert Minuten hinweg den Ha­schisch rauchenden Henry Geldzahler fil­men konnte, so war dies nur spannend, weil letzterer - wie jeder Nicht-Schauspie­ler - nach spätestens einer Viertelstunde seine Maske ablegen mußte, die sich bei Einschalten einer Kamera aufbaut. Insge­samt haben Gierkes Filme eine maschinel­le Hektik, die ein wirklich intensives Einge­hen auf ihre Welt nicht zulassen.
Einen weiteren Konzeptfilm dieser Art hat Detlev Otten gezeigt. Während eines Zeitraums von drei Monaten hat er mor­gens nach dem Aufstehen die Kamera aus dem Fenster gerichtet und für ein paar Sekunden abgedrückt. Da dies weder im Titel noch in einem Text erläutert ist, wird es zu einem Ratespiel für Erstseher. Als Wissender kann man den Film sehr genie­ßen, wenn er auch ziemlich nach moder­ner Kunst aussieht. Ausnahmsweise ist der Film mit Ton, nämlich dem Umgebungs- und Kamerageräusch während des Filmens.
Karsten Bott hatte mit seinen hier nicht gezeigten TAG UND NACHT - Filmen bereits vor ein paar Jahren demonstriert, wie derartige Konzepte zu spannenden, ergreifenden Ereignissen werden können.
Diesmal zeigte er den 20-minütigen MÄH­ FILM, den er auf und neben einem Traktor eines Bauern beim Grasmähen gedreht hatte. Es ist eine wildbewegte Grasorgie, auf deren Höhepunkt ein Rechen sichtbar wird, an dem die Kamera befestigt ist.
Man hat dabei nicht das Gefühl, daß mit dem Rechen hier wirklich gearbeitet wird und der Film ist natürlich keine Dokumentation etwa darüber, was ein Bauer bei seiner Arbeit erlebt, sondern eine Performance: Bott und Kamera, Rechen, Traktor mit Mähwerk, Bauer.
Auf ähnliche, weniger expressive Art ar­beitet Stefan Meditz, wenn er die Kamera von seinem Auge befreit: in MOZARTSTEG läßt er die Kamera mit zwei Kordeln von einer Brücke baumeln, die Kamera nähert sich immer mehr dem Wasser, sie pendelt langsam knapp am Pfeiler vorbei und kurz vor dem Ende reißt sogar noch eine der Kordeln. KNIE IN DER GETREIDEGASSE ist weniger spannend - er hat die Kamera am Knie befestigt und läuft damit durch die Salzburger Fußgängerzone, KNIE IM WALD ist wesentlich harmonischer und deutet eine Dynamik an (am Ende fällt gar die Kamera ab). Der prägnante Bewegungsablauf der Kniekamera ist schon ziemlich einmalig, nur fehlt hier eine tiefgreifendere Erarbeitung, die über den Effekt hinausgeht.
Wolfgang Heetel zeigte eine andere Art von Gehfilm. Einmal ging er mit freigehal­tener, auf den Kopf gedrehter Kamera durch eine RUINE, ein anderes Mal über eine Brücke EISERNER STEG. Diese Filme wurden rückwärts projiziert, so daß der Kopfstand ausgeglichen war, dagegen aber die Zeit umgekehrt lief. Dadurch gelang ihm eine Sichtweise von der Welt, wie sie sonst nie so zu sehen ist. Bei dem Brückengang führt dies zu etwas lustigen Effekten, wenn Leute rückwärts gehen, aber in der Ruine kommt es zu einigen Aufnahmen, die sich von dem üblichen Herumlaufen mit der Kamera subtil unter­ scheiden - auf den ersten Blick sieht der Film nämlich so aus, als wenn da jemand touristisch ziellos durch eine Kirchenruine schlenderte. Gleichzeitig ist spürbar, daß da irgend etwas nicht stimmen kann, et­ was in der Chronologie ist falsch. Das Wissen, daß ja alles nur rückwärts ab­ läuft, hilft hier der Vorstellung übrigens nicht weiter. Ich sehe den Film als eine Studie, die noch sehr viel weiter ausgearbeitet werden könnte. Die Tatsache, daß wir Menschen dem Ursache/Wirkung- Prinzip unterworfen sind, läßt sich im Filmablauf zumindest visuell aufheben.
Dara Friedman, Gastudentin aus den U.S.A., präsentierte mit DAD und CRY zwei sehr persönliche und ausdrucksvolle Porträts. Hierbei hat die Kamera vor allem eine Abbildungsfunktion in Situationen, die für sich sprechen. Ihre Filme sind sehr glaubhaft und ungekünstelt, gleichzeitig aber auch weniger filmspezifisch - der Reiz der Kamera, des Materials, ist hier überhaupt nicht wichtig.
Ein auf andere Art persönlicher Film ist GRÜN von Johannes Franzen, der sich selbst unter der Dusche filmte, allerdings geheimnisvoll impressionistisch dunkel.
LIEBEN von Tamara Grcic ist ebenfalls verdeckt persönlich: Während des Geschlechtsakts filmte sie den Rücken ihres Liebhabers, so daß eigentlich nur be­wegte Hautoberfläche zu sehen ist (der Star ist hier eine Sommersprosse) und der Rest der Phantasie überlassen bleibt.
Helga Fanderl war eine der ersten Künstlerinnen an der Städelschule, die S8 als ihr Medium entdeckt hatten und dessen spezifische Eigenschaften ausgelotet ha­ben. Sie hat seit 1986 sehr viele kurze Filme gemacht, meist im Bereich zwischen 2 und 3 Minuten Dauer, die bei Vor­führungen kapitelweise gruppiert sind. Bei ihr gilt der Vergleich zur Literaturform Gedicht (im Gegensatz zum Roman) am ehesten. Jeder ihrer Filme hat ein in sich geschlossenes Thema, wobei verschiede­ne Themen auch eine entsprechen unter­ schiedliche Form haben. Die Filme sind betont einfach gemacht und haben eine poetische Leichtigkeit, die bei anderen Filmmachern selten zu finden ist. Im Unter­ schied zu den meisten S8-Filmen der STAEDEL FILMMACHER wird bei ihr nicht das tägliche Leben in Angriff genommen, sondern sie verdichtet gewisse kleine (auch alltägliche) Erscheinungen der Welt. In KÜNETTE GRABEN wird eine Festungs­mauerarchitektur der vorgelagerten Welt eines Wassergrabens und der umgeben­ den Natur gegenübergestellt. SEE zeigt monumental die Spiegelung von Natur und Grillfeuer-Touristen auf einem See.
Hier verschmilzt Feuer mit Wasser auf einfachste, unprätentiöse Weise. HEFTI­GE QUELLEN zeigt aufgewühltes wildes Wasser, PFAU ruhiges, etwas trostloses Stolzieren.
Auch bei Michaela Papst geht es um das einfache, ruhige Beobachten von Ereig­nissen. TOURISTENFENSTER thematisiert die Neugier und Interaktion von Touristen auf der Salzburger Festung. ANTES DO CARNEVAL zeigt die Sicht einer Beobachterin in der hinteren Reihe eines Straßenkarnevals in Rio, wobei das Ereignis immer näher rückt, ohne jemals die gewöhnlich erwartete Fernsehperspektive einzunehmen. Hier zeigt sich, wie auf einfache Art völlig ungewöhnliche Bilder im Film möglich sind. In MAGIC DAY beobachtet Papst ein kleines Mädchen beim Füttern von Tauben, bis dieses schließlich einfach eine Taube in die Tüte packt, ihrer Mutter zeigt, und sie dann als weißes Kaninchen wieder freigibt - dies alles ohne Regie und Tricks. REITEN zeigt die Filmmacherin selbst bei freigehaltener Kamera im Galopp durch die Landschaft, wodurch ungewohnte Perspektiven und Bewegungen zustande kommen.
Beobachtungsfilme mit stärkere voyeur­istischer Prägung stammen von Günter Zehenter. Beispielsweise verfolgt er mit der Kamera radelnd zwei RADFAHRE­ RINNEN, bis sie an einem Gasthof angekommen sind und er sie noch einmal offiziell porträtiert, wobei der Unterschied zum unbeobachteten, geheimen Film deutlich wird - in dieser Situation weiß Zehenter gar nicht mehr so recht, wo er die Kamera hinhalten soll. Wichtig ist bei ihm die bisweilen gefährliche Penetranz, mit der er Menschen filmt - er hält den Finger am Auslöser, egal, was passiert. In seinen Schlaffilmen ist er (und seine Freundin) übrigens selbst das Opfer: es sind langzeitbelichtete Nachtaufnahmen im Bett.
Nicole Schott macht in PORTRÄTS 1 frontale Beobachtungen von Gesichtern, wo­ bei vor allem der natürliche Reiz der Blicke schön ist. Ihre anderen Filme sind unzusammenhängender, meist Beobachtungen unterwegs. In O.T. macht sie den Versuch einer Einzelbildstrukturierung von abgesägten Baumstämmen, was aber beiläufig und unfertig wirkt.
Intensiver sind die Beobachtungen von Fiona Leus, die sowohl Landschaft als auch Menschen zeigt. A DAY AT THE SEASIDE behandelt im Zeitraffer einen gesamten Tag an einem Urlaubsstrand in Südengland. Der Bildausschnitt und die Wahl der Zeiteinheiten ergeben einen monumentalen Film zum Thema Natur und Menschheit.
Onno Faller zeigt in SPAGHETTI ESSEN den Kampf ihres kleinen Sohnes mit einem widerspenstigen Nahrungsmittel. Diese Serie soll jährlich fortgesetzt werden. In ihren anderen Filmen entwickelt sie einen sehr direkten Filmstil, indem sie die Kame­ra ohne durchzuschauen in der Hand hält und so selbst ein handelnder Teil der gezeigten Welt bleiben kann - im Gegen­satz zum rein beobachtenden und somit ausgeschlossenen Standpunkt einer nor­malen Kameraführung. Film wird hier zum direkten Miterleben, zum Beispiel bei HÜHNERVERKAUF auf einem Straßen­ markt, einer KUTSCHFAHRT oder bei der Perspektive eines Hundes, IVO. Ganz besonders direkt wird das Erlebnis, wenn Faller ein KÄLBLE in mühevollen Anläufen dazu bringt, das Objektiv der Kamera abzulecken.
Den Schlußpunkt der Veranstaltungen setz­te Tom Heurich, der zu seinen Filmen Saxophon spielte. Titel wie BESCHLEU­NIGTE BEWEGUNG, FREQUENZMO­DULATION, HIMMEL UND HÄUSER, STRASSE DREHT SICH, KOPF 4 OBER­TONE deuten an, daß es ihm sowohl um Gegenständlichkeit als auch um abstrakte Qualitäten geht. Seine expressive freie Spielweise setzt den Filmen, die nur aus langweiligen, klischeehaften Effekten bestehen, eine Kraft entgegen, die jede Vorführung zu einer spannenden Performance machen. Das Bild wird zu einem Kommentar zur Musik, die wiederum - mit leichten Verschiebungen - synchron zum Bild entsteht. In einem Film werden Schwenks über das Oberflächenmuster einer Wellblechtonne mit Oberstimmenmodulationen gepaart, in einem an­ deren Reißschwenks über eine Straßen­landschaft mit expressiven Klang­ ausstößen. Am witzigsten ist es, wenn Heurich Aufnahmen seines eigenen Gesichts verwendet, mit Augenbewegungen, die imaginäre Bewegungsrichtungen be­schreiben.

Kategorie: Rezensionen (Bücher und Film bzw. GRIP Kritik)

Schlagworte: Filmemacher*in, Ausbildung/Weiterbildung/Studium, Institution, Kurzfilm, Experimentalfilm

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