GRIP 05

01.03.1993

Filme, auf die wir warten

Peter Voigt: Wieland Förster "Protokolle einer Gefangenschaft"

Von Heike Kühn

Drei eigenständige, chronologisch jedoch aufeinander abgestimmte Gesprächsprotokolle von jeweils fünfundvierzig Minuten Länge erlauben es dem Dokumentarfilmer Peter Voigt in den “Proto­kollen einer Gefangenschaft” an das Schicksal des Bildhauers, Malers und Schriftstellers Wieland Förster zu rühren. 1946, als Sechzehnjähriger wegen unerlaubten Waffenbesitzes denunziert und an die Russen ausgeliefert, wurde Wieland Förster zu zehn Jahren Arbeitslager verdammt. Inhaftiert war er letztlich mehr als drei Jahre: In Bautzen, an einem Ort, dessen Name zum Synonym einer über den Krieg hinaus regierenden Grausamkeit werden sollte. Allein diese Codewort auszusprechen, geschweige denn von seinen Erfahrungen mit dem Tod in Bautzen zu berichten, hätte Förster noch vor kurzem erneut der Willkür ausliefern können.
Peter Voigt, der Förster auf dessen eigenen Wunsch hin porträ­tiert und begleitet, hat sich die Zeit genommen, die Eskalation dieser Willkür zu verfolgen. Von Erinnerung zu Erinnerung, von Schwelle zu Schwelle, durch Räume, die heute Archive der Universität Dresden bergen und kein Zeugnis geben von den nächt­lichen Verhören, die Wieland Förster seitdem um den Schlaf bringen. “Schlaf”, sagt der einzige Zeuge einer weggeräumten, einer neu möblierten Geschichte, “ging in Ohnmacht über”. Der Gefangene Wieland Förster liest die unsichtbaren Zeichen der Tyrannei gleich einem Kassiber, der die Umrisse einer ganzen Stadt umfaßt. Der Erzähler Wieland Förster versammelt die Zeichen, von diesem Fenstersims, das bröckelt, von jenem Rohr, das an einem Weg nach ganz unten entlang rauschte, und proji­ziert sie als Menetekel auf die (Lein)Wand. Wo nichts zu sehen ist außer verstellten Räumen und einem verbitterten Mann im Staubmantel, ruft die Imaginationskraft dieser Sprache, die Langsamkeit dieser Bildsprache vernichtende Bilder hervor. Zäsuren, die den hypnotischen Erzählfluss dämmen, Redundanzen, rhyth­mische Stockungen nehmen den “Protokollen einer Gefangen­schaft” die Nähe zum Martyrium, zum Selbstmitleid. Mit Geduld hat das Faszinosum dieses Films wenig zu tun.

 

Kategorie: Rezensionen (Bücher und Film bzw. GRIP Kritik)

Schlagworte: Dokumentarfilm, Filmemacher*in

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