GRIP 05

01.03.1993

Filmbeschreibung = Portrait: What's your name! - Ein Ton-Film von Wilhelm Orlopp

Im Rahmen der monatlichen Reihe “Der Blick ins Freie” wurde am Mittwoch, 17. Februar im Mal Seh’n der Film “¿What’s your name! ” von Wilhelm Orlopp gezeigt. Orlopp hat neben mehreren kurzen Filmen vor allem den Film “VERdich?! ” (1982-85, 54 Min., 16mm) gemacht, der wie auch der hier gezeigte in jahrelanger Arbeit am Schneidetisch entstanden ist.

Von Roland Krüger

Die Vorführung ließ ein zum Teil etwas ratloses Publikum zurück, wie sich im an­ schließenden Gespräch herausstellte. Ich möchte daher über eine Besprechung des Films hinaus hier noch einige grundsätzli­che Fragen zur Kunstform Film erörtern.
Der Film wurde nach dem Gespräch und einer Pause ein zweites Mal gezeigt. “ ¿What’s your name! ” (1985 90, 28: 35 Min., 16mm) ist einer der wenigen mit Mitteln der Hessischen Filmförderung fi­nanzierten Avantgardefilme und wurde im Rahmen der 5. Hessischen Filmschau 1990 im Kommunalen Kino erstmals auf­ geführt.
Der Ton des Films besteht aus den Arbeitsgeräuschen von vier Wasserrädern in Ägypten, die zu Anfang des Films im Bild gezeigt werden. Schon hier in der ersten Szene gibt es eine deutliche Differenz zwischen der eher ruhigen Abbildung des Gegenstands und der vielfältig lärmenden, kreischenden, wimmernden, plätschern­ den Musik der Bewässerungsmaschinen.
Diese ist zunächst als Vierklang, später in Einzelstimmen und im letzten Drittel wie­derum als Mehrklang geschnitten und er­ gibt damit eine Komposition, die im Auf­ bau an klassische Orchestermusik erinnert.
John Cage hatte einmal, als er in New York an einer vielbefahrenen Straße lebte geäußert, er brauche keine Musik zu hören, da er ja den ganzen Tag Musik in Form von Straßengeräusch erlebe. Der Unter­ schied zu Musik im traditionellen (abendländischen) Sinn, ist selbstverständlich die Forderung nach einer Form von Harmo­nie, die, in Jahrhunderten entwickelt, den angelernten Vorstellungen des heutigen (westlichen) Hörers entspricht. Nun kommt es aber Cage (und auch Orlopp) als modernem Künstler gerade darauf an, sol­che Konventionen zu durchbrechen und damit möglicherweise neue Sichtweisen auf die Welt zu eröffnen.
Die äußerlichen Veränderungen in diesem Jahrhundert sind technologischer Art und bewirken massiv ein Umdenken in Kunst und Ethik. Es gibt eben nur zwei Möglich­keiten, auf ein neues Ereignis, wie zum Beispiel Autolärm zu reagieren: entweder man konstruiert die Maschinen so, daß sie im Zusammenklang auf der Straße harmo­nische Geräusche erzeugen, gemäß unse­rer Musiktradition - oder man ändert grundlegend die Musikvorstellungen.
Letzteres, das heißt die Anpassung an Gegebenheiten im Gegensatz zu Verände­rung der Welt aufgrund von Ideen und Wünschen, fällt dem Menschen naturge­mäß am leichtesten. Eine dritte (modische) - Methode, nämlich die unaufgelöste Situation per Walkman-Kopfhörer oder Autostereo zu überdecken, fällt nur auf die zweite zurück, denn Musik im tradi­tionellen Sinn wird so genauso zerstört, bzw. geändert. Das wird sofort eindring­lich sichtbar an dem Mediensalat, der heu­te in der Stadt überall präsent ist.
Der Ton in “ ¿What’s your name! ” wird nicht ohne Grund von vielen Zuhörern als grausig, das heißt unharmonisch und un­ angenehm empfunden. Er entspricht eben nicht unseren musikalischen Harmonie­vorstellungen, ist aber andrerseits harmonischer und auf jeden Fall beziehungs­reicher als Verkehrslärm. Dies wird in den Bildern deutlich, die zunächst wie Synchronisations-Entwürfe zu den Ge­räuschen gelesen werden können. Es sind immer wieder Esel zu sehen, Mahlräder, Holzkarren, Wasser. Manche der Ereig­nisse passen sogar besser zum Ton als die tatsächlichen Geräuscherzeuger. Im Ver­ lauf des Films (und erst recht bei mehrma­ligem Sehen) wird aber deutlich, daß das Gesehene mit dem Gehörten eine eigen­tümliche Welt bildet, deren Ordnung mit gängigen Vorstellungen von Film kaum in Einklang gebracht werden kann.
Als ich den Film das erste Mal sah, hatte ich nur einen vagen Eindruck von vielen schönen, aber ziemlich ungeordneten Bil­dern, gegen einen nervigen, kreischenden Ton. Den meisten Zuschauern - wie auch an diesem Abend - geht es wohl ähnlich, und sie werden daher kaum den Film mehr­mals sehen wollen. Aber hier ist es genauso wie bei neuer Musik - erst durch wieder­ holtes Hören, durch Auswendiglernen, überblickt man die Gesamtstruktur und entwickelt schließlich nach und nach ein Gefühl für die Feinheiten.
Im Unterschied zu Musik wird Film vor­nehmlich auf das erstmalige Erleben hin konstruiert. Daher ist es zum Beispiel ganz normal, Musik-CDs sehr oft zu hören, während Videobänder wohl kaum öfter als dreimal gespielt werden. Erzähl­handlungen sind auf den Reiz der Span­nung aus, die sofort verloren geht, wenn das Ergebnis schon bekannt ist. Dieser Gefahr der Kurzlebigkeit gehen Film­künstler aus dem Weg, indem sie die Beto­nung weniger auf Handlung legen, son­dern auf Werte, die aus der Musik oder der Bildenden Kunst bekannt sind: Zeitaufbau, Bewegungsablauf, Bildlauf, Farbe.
Grundlage des Films von Orlopp ist ein Erlebnis, das er 1980 hatte: in einer ägyp­tischen Oase hörte er das Geräusch der Wasserräder. Erst fünf Jahre später wurde aus der Idee ein konkretes Filmprojekt - im Verlauf mehrerer Ägypten-Reisen nahm er den Ton auf Band auf und sammelte etwa 3 Stunden Bildmaterial. Dann be­gann die Hauptarbeit am Schneidetisch, die noch einmal fünf Jahre in Anspruch nahm. Sein Schnitt geht nicht von festge­legten Ideen aus, sondern wird um einzel­ne ihm wichtige Bilder herum geformt, die wie Kristallisationskeime die spätere Ge­stalt des Films bilden. Dabei achtet er auf den Zusammen”klang” dieser Bilder und Szenen, sowohl untereinander, als auch mit dem ebenfalls geschnittenen “komponierten” Ton.
Der Schnitt ist harmonisch - Gegenstands­bewegung, Fahrten und Kamerabewegung werden in Einklang gebracht, sogar so prä­zise, daß manche Zuschauer die Aufnah­men als “statisch” empfunden haben, was sie aber ganz offensichtlich nicht sind - denn die Kamera ist immer in Bewegung, die Aufnahmen sind nie mit Stativ ge­macht und manchmal wurde auch einfach aus der Hand ohne Durchschauen gefilmt, beispielsweise auf der Straße mitten im Gewühl.
Es gibt viele Fahrtaufnahmen aus dem Auto heraus - was normalerweise langweilig ist, denn es ist dabei schwierig, über eine längere Strecke die visuelle Spannung zu hal­ten. Meistens fließt dann die Landschaft einfach sinnlos vorbei - es entsteht ein Landschaftsbild, das uns seit Einführung der Motorisierung wohlvertraut ist.
Orlopp zeigt aber, wie selbst hier Konzen­tration und Dichte möglich sind. Durch Bewegen der Kamera mit und gegen die Fahrtrichtung werden Raumwirkungen dynamisiert, wenn die Kamera beispiels­weise während der Vorbeifahrt auf einen Mann mit einem Esel gerichtet bleibt. Sanddünen zeichnen oszillierende Linien in den Himmel. Ein Höhepunkt ist ein Vogel, der stillstehend gegen die Land­schaft fliegt, da er gleiche Richtung und Geschwindigkeit wie das Auto hat.
Die Bilder werden immer wieder unter­brochen durch Schwarzfilm, so daß sich niemals eine offensichtliche Struktur er­ gibt, die aufgebaute Erwartungen befrie­digen könnte. In den Schwarzpausen kehrt der Ton mit voller Kraft zurück ins Be­wußtsein, besonders wenn man sich zuvor in den schönen Bildern verloren hat. Dies läßt auch eigenen Assoziationen Raum und gibt Gelegenheit, das Erlebte zu überden­ken.
Die Gesamtstruktur des Films ist leichter durch Ausschlußkriterien greifbar, als durch Beschreibung der Inhalte. Orlopp selbst nennt Punkte wie “keine Unterwerfung des Materials unter meine Vor­stellungen”, “nicht Vertonung von Bil­dern”, “keine Artistik” und “keine Ge­schlossenheit vortäuschen”. Das heißt, er hat sich von vornherein klare Grenzen gesetzt, um dann in der Arbeit um so freier mit dem Material umgehen zu können.
Hier kommt ein wichtiger Aspekt der modernen Kunst zum Zug, nämlich das Definieren von Kriterien durch den Künst­ler selbst - im Gegensatz zur Unterwerfung des Künstlers unter äußere Umstände. Heute beinhaltet jedes gute Kunstwerk auch die Definition seiner Lesbarkeit.
Die Verbindung aus großer Freiheit, innerhalb sehr eng gesetzter Grenzen, kenn­ zeichnet auch Wilhelm Orlopps Ausstel­lung von Zeichnungen in der Galerie der Künstler, Barckhausstr. 1-3 (bis 16. März 93, Di - Fr 12-18 Uhr). Hier hängen Serien von Zeichnungen mit roter dichter Aquarellfarbe auf DIN A4-Papier, immer in einem festen Bereich um die Horizont­linie herum aufgetragen, lesbar von links nach rechts. Von weitem wirken sie leer und unscheinbar, je mehr man sich ihnen nähert, desto stärker springt einem eine riesige, scheinbar endlose Vielfalt an For­men, Umformungen, Reihungen, Verdich­tungen, Ausfransungen ins Auge. Sie be­wegen sich zwischen Poesie und Musik und erinnern damit stark an Orlopps Umgang mit Bildabläufen und Klang­ zusammenhängen.

Kategorie: Rezensionen (Bücher und Film bzw. GRIP Kritik)

Schlagworte: Experimentalfilm, Filmemacher*in

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