GRIP 05

01.03.1993

EROTIK, VERFÜHRUNG und der verhängnisvolle BLICK

Der weibliche wie der männliche Körper hat gesellschaftlich kommunikative Funktion. Er ist Träger nonverbaler Aussagen, die im jeweiligen kultur-soziologischen Kontext zu verstehen sind. Die Sprache der Erotik ist Ausdruck des Geschlechterverhältnisses und gleichzeitig Mittel, den Status männlich-weiblicher Beziehungen zu erhalten.

Von Gilla Lörcher / Monika Romstein

Die Zeichen der Inszenierungen und Selbstinszenierungen der Körper sind untrennbar verbunden mit der Geschichte einer männerorientierten Gesellschaftsform. Selbst wenn man heute davon ausge­hen kann, daß sich das patriarchale System im Stadium der Entropie befindet, erschlie­ßen sich die Codes von “Erotik” nur in der geschichtlichen Reflexion. Das, was als erotisch spezifisch den Geschlechtern zu­ geschrieben wird, läßt sich schon seit Jahr­ hunderten mit der Äquivalenzfunktion des weiblich / männlichen Gegensatzes von “natürliche Schönheit / hart erarbeitete Muskeln” beschreiben.
Auch das Blickphänomen scheint eher im Sinne der Tradition zu funktionieren. Ist es der Mann, der das Objekt seiner Begierde in Augenschein nimmt, so ist es die Frau, die im Bewußtsein des “anderen” Blicks, die eigenen Augen, wenn auch vielleicht nicht mehr schamhaft, aber immerhin senkt. Dieses Phänomen und vor allem seine Anwendung erleben wir täglich, ob im Reality-Alltag, in Illustrierten oder auf der Kinoleinwand. Obwohl die Situation eine aufgeklärte ist, befinden wir uns beim Thema der Erotik und dem Blick, als we­sentlicher Bestandteil der Erotik, noch immer auf einer eher mythologischen Ebe­ne des Geschlechterverhältnisses. Damit dieses Rollenverhältnis auch in der Erotik nicht ein archaisches bleibt, wäre ein Über­denken und Entwickeln “neuer” Perspek­tiven notwendig und ein Diskurs über eine mögliche Neubesetzung von Erotik-Codes anzuregen.
Die Veranstaltung wird auf verschiedenen Ebenen das Phänomen der Erotik, der Verführung und die Rolle des Blicks um­ reißen. In einem theoretischen Part wer­ den Positionen von Jean Baudrillard (der sich in den “Fatalen Strategien” und in seinem neuesten Buch “Zur Verführung” sehr ausführlich zum Wesen der Verfüh­rung sehr ausführlich zum Wesen der Ver­führung und dem Verhältnis der Ge­ schlechter äußert), Georges Bataille und Niklas Luhmann (der im Zuge seines systemtheoretischen Ansatzes auch vor Liebe und ihrer gesellschaftlichen Funkti­on nicht halt macht) vorgestellt. Neben diesem theoretischen Aspekt, wird es reich­lich anschauliches Material zum Thema Erotik geben. Ein Diavortrag wird sich, ausgehend von der Rezeption des Medusa­ Mythos in der Abendländischen Malerei mit der Bedeutung dieses besonderes “Frauenschicksals” auseinandersetzen. Die schöne Medusa avancierte zur Femme fa­tale und zum Schrecken aller Männer. Da niemand ungestraft ihrer Schönheit ansichtig werden darf, hat der Blick der schlangenköpfigen Medusa für den Voyeur tödliche Folgen. Diesen Doublebind von Schönheit und Grauen weiß sich auch die Göttin Athene zu Nutze zu machen. Die Aigis, das Symbol des Grauens, trägt die jungfräuliche Göttin an ihrem Gewand.
Dadurch wird sie zur unnahbaren, jede (männliche) sexuelle Lust abwehrenden Frau. Die Verstrickung von Blick, Voyeurismus und Verführung soll auch für das Zeitalter der Vernunft aufgezeigt werden. Entlang dieses Parameters wer­ den weibliche Körperdarstellungen und Inszenierungen in der Abendländischen Malerei des 18. Jahrhunderts vorgestellt und in einer szenischen Lesung werden erotische Kurzgeschichten geboten, deren besonderes Sujet der Blick und der Fetisch ist. Der Film “Variety” von Bette Gordon (USA 1983), der sich mit der Relation von Schaulust und Sexualität im Kino ausein­andersetzt, “verkehrt” die gängigen Codes von männlich/weiblichem Blickverhalten im traditionellen Spielfilm. Wenn die Hauptdarstellerin Christine offen und dazu - öffentlich ihre sexuellen Phantasien aus­ spricht, in Pornoläden geht und einen Mann verfolgt, bricht sie damit nicht nur gesell­schaftliche und kinematografische Tabus, sie instabilisiert die Bedeutung pat­riarchalischer Symbolsysteme.
Künstler/Innen, die sich mit dem Thema Erotik und Fetisch auseinandersetzen, werden mit ihren Arbeiten und einer Installation einen besonderen Beitrag zu dieser Veranstaltung liefern.

Veranstaltung:
Erotik, Verführung und der verhängnis­volle Blick

Referentinnen:
Annette Brauerhoch (Filmwissenschaftlerin, Frankfurt);
Gilla Lörcher (Philosophin, Kunsttheoretikerin, Frankfurt);
Monika Romstein (Kunsthistorikerin, Frankfurt)

Eine Veranstaltung des Frankfurter Filmhauses, in Kooperation mit dem Literaturhaus..u . a.
Ort: Literaturhaus,
Kino: Stand zum Redaktionschluß noch nicht fest, bitte im Filmhaus erfragen.

Zeit: Freitag, den 2.7 ., 18-22 Uhr;
Samstag, den 3. 7., 14-19 Uhr (18 Uhr Buffet von Christine Biehler)

Kategorie: Veranstaltungshinweise

Schlagworte: Filmtheorie/Filmwissenschaft, Filmkultur, Filmhaus Frankfurt

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