GRIP 05
01.03.1993
Die Normalisierung des Bösen - Stalingrad im Film
Übrig bleibt eine Pietá - die letzten beiden Anti-Held-Helden können im Schneesturm nicht mehr weiter, einer im Schoß des anderen liegend erfrieren sie - die Kamera fährt zurück - Schnee bedeckt die Gruppe. Ende.
Von Christoph Görg / Klaus Gietinger
Mythische Auferstehungshoffnung nach Stalingrad? Oder einfach Versöhnung mit dem Schicksal? »Die Toten sind nicht tot« meinte schon Alexander Kluge. Stalingrad bleibt eine Wunde in der Erinnerung. Man muß sie heilen, wenigstens verbinden, will man Ruhe für die Gegenwart. Das begann schon in der Nazizeit, als der Mythos Stalingrad den Mythos der Unbesiegbarkeit ersetzte. »Aber die Wunde reicht tiefer. Stalingrad war eben nicht nur "eine der schrecklichsten Schlachten aller Zeiten" (so das Filmbuch zu »Stalingrad«.
Stalingrad war auch nicht nur das Symbol der Wende im 2. Weltkrieg, das den Anfang vom Ende des Eroberungs- und Vernichtungsfeldzugs gegen die Sowjetunion markierte. Im Rücken von Stalingrad liefen die Vernichtungsmaschinen von Auschwitz, Maydanek und Teblinka auf Hochtouren. Stalingrad ist nicht nur das Symbol eines militärischen Größenwahnsinns, der in einer Katastrophe endete. Stalingrad und Auschwitz gehören zusammen. Das ist die Wunde. »Stalingrad Platoon« Die »Helden-stalingradngrad-Klischee: der gute Landser, verraten und verkauft - hätte er nur bessere Führer gehabt!) und am Schluß darfs sogar noch etwas Völkerverständigung sein - eine junge Russin und die letzten Deutschen versuchen gemeinsam zu fliehen. Doch ist der Film bei weitem kein Antikriegsfilm, was er dem Anspruch nach aber sein möchte. Dafür ist weniger die Schnitttechnik verantwortlich, die das Elend von Stalingrad verfehlt, die es pittoresk werden läßt, wie Andreas Kilb in der "Zeit". Nach den vorliegenden Informationen wurde für den Film STALINGRAD die bisher größte Panzerschlacht der deutschen Filmgeschichte inszeniert. " (Filmbuch S. 15, Fettdruck im Original) Ein großes Datum braucht den entsprechenden Aufwand. 50 Jahre Stalingrad erforderten "13 Original-T 34 Panzer", "9000 Original-Uniformen", "Original Waffen", "ca. 3 Tonnen Sprengstoff so wie rund 100 000 Schuß Munition" u. a. m. Was macht den Unterschied, ob dies nun Stalingrad im Winter 42/43 oder Sarajewo im Winter 92/93 sein soll? Die Quantität? Die technische Ausstattung? Für die Binnenperspektive der Soldaten dürften die Unterschiede marginal sein - gestorben wird eh allein, und nicht in statistischen Größen. Und der politische Hintergrund bleibt fast völlig ausgespart. So aber wird aus Stalingrad wider Willen eine Schlacht wie andere auch, in den Bildern der Grausamkeit längst von den täglichen Abendnachrichten eingeholt und in ihrem Sensationswert, dem Nervenkitzel des Bösen, davon längst übertroffen. Warum dann der Aufwand, warum auch der (wenigstens finanzielle) Erfolg?
Wie Oliver Stone's »Platoonsche Selbstwertgefühl der Nation aufzupäppeln. Hier dient der Typus des tragischen Helden, der zwar tapfer und im Durchschnitt auch ehrlich, aber leider für eine schlechte Sache geopfert wurde, einem anderen Ziel - der Relativierung der NS-Vergangenheit, der Relativierung von Auschwitz.
Seht, dieser Krieg war doch im Grunde nichts besonderes, zwar ein grausames Sterben, zugegeben, aber doch nicht anders, als es andere auch gemacht haben und heute machen! So wird der Eroberungskrieg nicht verschwiegen - die deutschen Soldaten begutachten beim Transport an die Front schon das "vom Führer" versprochene Land. Selbst der Vernichtungsfeldzug kommt noch im Film vor, wenn auch nur indirekt bei den Erschießungen der Zivilbevölkerung. All dies kann dem deutschen Moralempfinden ohne Schwierigkeiten zugemutet werden - schließlich treibens "die Serben" mit den "ethnischen Säuberungen "Welche Botschaft der Film vermittelt wird erst richtig deutlich an dem, was er nicht mehr zeigt.
So widersprachen sich die Kommentatoren, ob die junge Russin am Ende des Films nun vergewaltigt oder ob sie "verschont" wird. Beides ist dem Film nach möglich, die eigene Phantasie kann das nichtgezeigte ausfüllen, es wird für die Interpretation verfügbar. Genauso verhält es sich mit jenem anderen Verbrechen, über das der Film sich ausschweigt. Ob heute noch der "kategorischen Imperativ ..., daß Auschwitz nicht sich wiederhole" (Adorno), seine Gültigkeit hat, wird ins Belieben des Betrachters gestellt. Und wie der Vordenker der Normalisierer, der Historiker Hermann Lübbe schon anläßlich eines anderen 50jährigen Jahrestages, des der Wiederkehr der Machtergreifung 1983, behauptet hat - Normalisierung ist die Voraussetzung für positive Identität.
Das hat dieser Staat auch nötig. Vor diesem Hintergrund bekommt auch die Pietá am Ende ihren Sinn - erlöse uns von Auschwitz, damit wir endlich als eine normale Nation wiederauferstehen. Vor dem jüngsten Tag, wenn's geht...
Christoph Görg
aus: Links, Nr. 274, März 1993
"Krieg ist wie Kino, vorne flimmerts und hinten sind die besten Plätze. " (Armin Dahl)
In Karl Krauss' genialem Theaterstück "Die letzten Tage der Menschheit" (geschrieben 1917) gibt es eine Szene (2. Akt, 28. Szene), in der ein Armeeoberkommandant und einige hohe Militärs in der ersten Reihe eines Kinos sitzen und sich immer wieder die gleichen Bilder ansehen: Explodierende Mörsergranaten an der Front. "Das militärische Publikum sieht mit fachmännischer Aufmerksamkeit zu. Man hört keinen Laut. Nur bei jedem Bild, in dem Augenblick, in dem der Mörser seine Wirkung übt, hört man aus der vordersten Reihe das Wort: Bumsti (1) )".
Noch ehe der Kriegsfilm richtig geboren war, hatte ihn Krauss schon entlarvt. 76 Jahre später. Merkwürdig viele ältere Herren sitzen im Kino und in der vordersten Reihe. Sie tragen keine Uniformen, aber fachmännische Aufmerksamkeit weist sie als ehemalige Uniformträger aus. Und dann wie üblich viele junge Männer und Damen. Auf der Leinwand die verschiedensten Mörserwirkungen.
Man hört sehr viel Krach (Dolby-Stereo). Ab und an Szenenapplaus.
Der Schöpfer der Explosionen heißt Karl Baumgartner. Kaum einer im Publikum kennt diesen jovialen Avantgardekünstler, diesen vierschrötigen Erfüllungsgehilfen des Futuristischen Manifests. Und doch macht er seit Jahrzehnten - dabei nach Landserart immer einen Gaudi-Spruch auf den Lippen -saubere Arbeit. Für den alten, den neuen und den ganz neuen deutschen Film. Und noch nie hatte er, der Diplom Pyromane, der "Charlie-Bumm-Bumm", so viel zu tun, wie in diesem Meisterwerk: Stalingrad.
Freilich es ist ein Antikriegsfilm. "Es gibt nur keine Antikriegsfilme!" (Godard) Es gibt auch keine Frühwarnsysteme (AWAKS), nur Feuerleitzentralen, es gibt keine Verteidigungsminister und es gibt auch keine friedenschaffenden Maßnahmen, sondern nur eines: Krieg.
Lasset uns daher die verdrehten Begriffe wieder zurecht drehen:
Antikriegsfilm =Bumstifilm
AWAKS = Bumstizentrale
Verteidigungsminister = Bumstiminister
Wörner = Bumstigeneralsekretär
CDU/CSU/FDP = Bumstiigel
SPD – Bumstihase
Saddam Hussein = Böserbumsti
Vilsmaier = Bumstispielführer
Schauspieler sind geführt gutt. Marschieren gutt. Kamera fährt gutt, zeigt viele Militär. Film gutt, sagen Zuschauer, sagen altes Landser, sagen Bavaria, geben Preis, spenden viel Applaus. Weil Iwan ist nix Feind, Landser ist nix Feind. Bese ist nur russische Winter und bese Hitler (noch beser Stalin! ). Paulus schon nicht mehr bese, weil gutt Sodat. Alle im Film gutt Soldat. Gibt nur eine bese Offizier. Bumsti, bese Offizier tot. Weil faschistische Armee hat's nie gegeben, war beste kommunistische Propaganda. Doch klar, in ganze Film keine bese Faschist, nur Hitler in Radio. In Stalingrad nix Faschist. Nur Kamerad. Machen ab und zu bumsti (auch mit Vilsmaier-Frau), aber muß sein, damit Film nicht wird langweilüg.
Freilich Vilsmaier ist unschuldig, er hat beste Absichten. Die WEU auch und die NATO und die KSZE und Kohl, Rühe, Engholm, Gansel, Voigt und die Kirchen. Sie hegen alle den gleichen Wunsch wie der Militärseelsorger Anton Allmer: "Gehts, laßts mich auch a wengerl schießen. - Bumsti! Bravorufe." (Die letzten Tage der Menschheit. (II. Akt, 6. Szene)).
Das war halt schon immer so. Zur gleichen Zeit, als Krauss sein Theaterstück schreibt, wurde die UFA gegründet, auf Ludddendorfs Anregung, wie wir wissen. Leider klappte es nicht mehr mit der Propaganda im ersten Weltkrieg, in Deutschland. Zwischen den Kriegen dann viel Marschierer auf der Leinwand, in der Wochenschau und im Film. Fridericus Rex et al. Und viel Bumsti. Aber es gibt auch pazifistisches Bumsti. "Ist denn niemand da, der die Ehre des deutschen Soldaten rettet? ", brüllt Goebbels 1930 vom Balkon eines Berliner Kinos als Laemmles "Im Westen nichts Neues" aufgeführt wird und erreicht den Abbruch. Und doch, auch dieser Film eins der besten Exemplare der Gattung, lebt vom Bumsti, so anti er sich auch abmüht.
Und dann 1933 "Morgenrot", der endgültige U-Bootfilm, lange vor Petersen müdem Abklatsch. "Zu leben verstehen wir Deutsche vielleicht nicht, aber sterben können wir verdammt gut", meint der Kommandant. Das wird in den folgenden Jahren bewiesen.
Auch im Film.
Und danach? Erst Trümmerfilm, dann Heimatfilm, dann Kriegsfilm.
Erst die Bumstiklamotte (mit Deutschmeistern, Heinz Conrads und Gunther Philipp), dann der ernste Bumstifilm (Kaleu Prien, Hunde wollt ihr ewig leben, Stern von Afrika etc. etc. ). Parallel zu Adenauers Wiederbumsti, gedreht von alten Bumstispielleitern.
Bald darauf der Katzenjammer. Leere Kinos. 1962, während Godard den - scheinbar - endgültigen Bumstifilm machte (Les Carabiniers), ein paar versprengte Sensibelchen in Oberhausen ein Papier unterzeichneten, beherrschten die Anglo-Amis den Bumstimarkt. Man betrieb in ihm die Rehabilitierung des deutschen Landsers. Aus Nato-Gründen. Hardy Krüger hieß der blonde Bumsti und er tankte sich durch (Eiskalt in Alexandrien, Taxi nach Tobruk, Hatari, Einer kam durch).
Gleichzeitig entdeckten aufmerksame Pädagogen den Antikriegsfilm. Einer wurde zur Jugendbildung abgestellt. Auch er einer der besseren der Gattung. Aber eben auch er ein Bumstifilm: "Die Brücke".
Die alten Bumstimacher starben. Es kamen neue. Zum Beispiel aus Amerika. Peckinpah hieß der Mann. Er zeigte den Deutschen wie man Kriegsfilme zu machen hatte, mit Bumsti in Zeitlupe. (Steiner 1f.) Dann endlich wieder die Deutschen: "Befehl, Herr Kaleu!".
Während draußen Millionen gegen den Krieg demonstrierten, tauchte er im Kino glucksend wieder auf. "Das Boot" hieß der Unterbumstifilm, produziert von dem Mann, der in der "Filmkritik" gut zwanzig Jahre zuvor (Filmkritik 6/60, Juni 1960, S. 1 84) noch das Bumsti im Kino (Sink the Bismarck!) mit Spott übergossen hatte.
Mir san alle Landser, früher oder später odder?
Und dann 1989. Kommunismus kaputt.
Warschauer Pakt kaputt. NATO nix kaputt. Die braucht man noch. Wie die Bundeswehr: Zwar klein, vielleicht noch kleiner, aber dafür bald auf der ganzen Welt. Das nenn' ich Dialektik. Und dazu der passende Film, der passende Bumstifilm.
Vor ca. 10 Jahren erhitzte die virtuelle Phantasie eines Gastwirts aus Sonthofen im Allgäu die Gemüter in der Stadt unter der SS-Ordensburg. Der Mann hatte den Gourmeteinfall der Saison. Bei ihm gabs nämlich was ganz besonderes à la carte: Stalingradgeschnetzeltes. Der zur Ordnung Gerufene zog seinen Speisezettel bald wieder aus dem Verkehr, freiwillig.
Vilsmaiers Film läuft noch. "Daß sie's nur hören, die Feind, es ist ein heilinger Verteilungskrieg, was wir führn! Wiar ein Phönix stehma da, den s' nicht durchbrechen wem, dementsprechend - mir san mir und Österreich wird auferstehn wie ein Phallanx ausm Weltenbrand sag ich! Die Sache für die wir ausgezogen wurden, ist eine gerechte, da gibts keine Würschteln, und darum sage ich auch, Serbien muß sterbien! " (Karl Krauss, Die letzten Tage der Menschheit, 1. Akt, 1. Szene)
Klaus Gietinger
(1)
Das Wort muß ausgesprochen werden, wie Qualtinger es tat: "Buuumsti!"
Kategorie: Rezensionen (Bücher und Film bzw. GRIP Kritik)
Schlagworte: Spielfilm, Filmtheorie/Filmwissenschaft
