GRIP 04

01.12.1992

Vier Fragen an Wolf D. von Verschuer

Seit zehn Jahren veranstaltet der Verein pupille + Schöne Neue Welt provisorisch Programmkino in den Räumen des ehemaligen Studiokinos CAMERA auf dem Gelände der Frankfurter Goethe-Universität; fast ebenso lang wird die Entscheidung, ob und wie die CAMERA nicht sinnvoller als durchgehend bespieltes Kino zu nutzten ist, zwischen Universität und dem Land Hessen als Verantwortliche hin und her verschoben.

Von Redaktion

Ein positiver Entscheid stand umso dringlicher an, nachdem an der Goethe-Univer­sität Frankfurt das Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften gegründet wur­de. Diese Gründung erfolgte mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Notwendigkeit, einem solchen Institut auch ein Kino zur Verfügung stellen zu können.
Im letzten Jahr nun schien endlich eine Entscheidung näher zu rücken; Universität und Land signalisierten Bereitschaft. Pupil­le + Schöne Neue Welt erhielten den Frankfurter Kinopreis und konnten anläß­lich der Preisverleihung ihr neustes Modell für eine Nutzung der CAMERA vorstellen, nachzulesen auch in diesem Heft. Nun aber kritisiert Wolf Dietrich von Verschu­er, ehedem Betreiber des Programmkinos HARMONIE und jetzt Geschäftsführer des Hauptverbandes deutscher Filmtheater (HDF) das Auswahlverfahren für einen künftigen CAMERA-Betreiber. Sein Vorschlag: Eine öffentliche Ausschreibung.
Während die Zukunft der CAMERA viel­leicht wieder einmal fragwürdig wird, nimmt die Auseinandersetzung an Schär­fe zu. So warf Kurt Otterbacher, Heraus­geber des Strandgut und einer der Grün­der der HARMONIE, Verschuer in einer heftigen Replik in der Januar-Ausgabe des Strandgut persönliche Vorteilnahme und Amtsmißbrauch vor.
Auf Anfrage wollte Wolf Dietrich von Verschuer dazu keine Stellungnahme abgeben, beantwortete aber vier Fragen, die wir ihm schriftlich vorlegen konnten:
Frage 1: Viele Programmkinos können kaum noch oder nicht mehr arbeiten; das jüngste Beispiel ist das APOLLO-Kino in Altenstadt. Bei der letzten Filmpreis­verleihung haben Sie in einer Rede davon gesprochen, daß es nunmehr fünf nach zwölf sei. Bitte beschreiben Sie die Situation kurz aus Ihrer Sicht.
Verschuer: Für Programmkinos war es in der Bundesrepublik von Anfang an schwer, da die spezifische Zielgruppen­arbeit teuer ist, die Personalkosten höher, die Werbekosten viel höher und die Kino­ karten- und Nebenumsätze (Coca, Popcorn, Gummibärchen) wesentlich nied­riger sind als in Main-Stream-Häusern. Wenn dann die wenigen Brotfilme des Repertoires noch jegliches Publikumsinteresse verlieren, d. h. Repertoire entfällt, und dazu noch die großen Mit­bewerber auch noch die lukrativen Nischenfilme mitspielen, dann wird es existenzbedrohend, trotz Selbstaus­beutung, weil Reparaturen, Heizung etc. nicht mehr eingespielt werden. Das trifft, wie immer, die sogenannten Provinzkinos zuerst und am schnellsten.
Von den neuen Filmtheatern, die in Hes­sen wegen hervorragender Programmarbeit ausgezeichnet wurden, werden Anfang nächsten Jahres sehr wahrscheinlich drei geschlossen sein (=33 1/3 Pro­zent! ) Diese Entwicklung zu stoppen, hal­te ich für die vorrangige filmpolitische Aufgabe - jenseits des üblichen Gerangels um mehr Geld für Produktion, Verleih, Filmtheater - nicht nur in Hessen.
Frage 2: In der oben erwähnten Rede, und bei vielen anderen Gelegenheiten, haben Sie eindeutig für die anspruchsvol­le Programmkinoarbeit votiert. Als HDF Geschäftsführer, also Vertreter der kom­merziellen Kinobetreiber, haben Sie aber gleichzeitig dem Konzept von Pupille+Schöne Neue Welt als möglichen Betreiber der CAMERA entgegen­ gearbeitet. Wie erklärt sich dieser Widerspruch?
Verschuer: Ich votiere nicht nur für die anspruchsvolle Programmkinoarbeit, son­dern ich arbeite auch täglich für ihren Erhalt. Da Programmkinos notwendig auch kommerziell betrieben werden müssen, ist der Gegensatz in der Fragestellung recht konstruiert. Dem Konzept einer zukünfti­gen Programmgestaltung der CAMERA arbeite ich nicht entgegen, da es die Kinolandschaft Frankfurts zweifellos be­reichern würde. Es ist ausgezeichnet.
Allerdings möchte ich, daß auch andere Interessenten ihre Konzepte - finanzielle und programmatische- darlegen dürfen und ernsthaft angehört werden. Da hier mehrere Millionen aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, muß der Vergabe­vorgang öffentlich und durchschaubar gemacht werden. Darum habe ich eine offene Ausschreibung vorgeschlagen '. In Frankfurt/M leben mindestens ein Dut­zend erfahrener und sehr guter Kinomacher/lnnen; die sollten auch eine Chan­ce der Äußerung erhalten!
Frage 3: Sie haben die Harmonie ver­kauft und sind Geschäftsführer des HDF geworden. Nun haben Sie sich an der Auseinandersetzung um das Konzept ei­nes Kinos CAMERA beteiligt. Wollen Sie die Geschäftsführung des HDF aufgeben und wieder Kinobetreiber werden?
Verschuer: In dieser ganzen Debatte beziehe ich Position entsprechend meines 'demokratischen' Selbstverständnisses. Ich verfolge keinerlei persönliche Absichten oder Vorteilnahmen. Mit meinem derzeitigen Beruf bin ich sehr außerordentlich glücklich, da er überaus vielseitiges und europaweites Nachdenken und Handeln erfordert.
Frage 4: Es gibt nach wie vor herausra­gende Beispiele von anspruchsvollem Programmkino in Hessen. Gibt es bei der Bewertung dieser Kinoarbeit einen Loyalitätskonflikt für Sie?
Verschuer: Diese herausragenden Beispiele sind für ganz Deutschland sicherlich der TRAUMSTERN in Lich und der FILMLADEN in Kassel, deren Interessen ich sicherlich wesentlich stärker vertrete, als es proportional zu ihren Umsätzen und Verbandsbeiträgen erwartet wird. Wenn ich mir das Programm der BERGER-Kinos, der HARMONIE, des ELDORADO und des MAL SEH'N anschaue, wo soll da ein Loyalitätskonflikt zu den Betreiberfirmen entstehen?
Wenn diese Kinos und das ROYAL und das EUROPA etc. pp. keine Vergnügungssteuer bezahlen, 25% Rabatt auf Europas niedrigste GEMA-Gebühren erhalten und die Dresdner Programmkinos Zuschüsse aus FFA-Sondermitteln erhalten - dann bin ich mit der' Ausgewogenheit' meines Han­delns zufrieden.

Kategorie: Interview

Schlagworte: Institution, Kino, Filmpolitik

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