GRIP 04

01.12.1992

Randbemerkungen zu Film und Kino in Frankfurt

"Die zweite Heimat" hat in Frankfurt keine Heimat gefunden. Die Chance für ein großes Filmereignis wurde vertan. Zur Banalität geriet die Aufführung des 26stündigen Films von Edgar Reitz, "Die zweite Heimat". Zwei- bis dreihundert Besucher, davon viele geladene Gäste, verloren sich in dem nicht einmal halbvollen Saal.

Von Ernst Szebedits

"Feststimmung wollte in der eher lieblosen Atmosphäre des Theatergebäudes nicht aufkommen. Die Veranstalter nutzten denn auch nicht die Gelegenheit, die Zuschauer zu begrüßen oder einen Rahmen zu stecken , der diese Filmvorführung von einer im normalen Kino unterscheidbar gemacht hätte. "(J. F.Holland, FR 23. 11. 92) Eintrittspreise von DM 150. - (! ) und Wer­bung, die sich mehr tarnte, denn gesehen werden wollte, taten ein Übriges, damit dieser Film seine Zuschauer nicht fand.
Die "Zweite Heimat" wäre im Schau­spielhaus gut aufgehoben gewesen Als Abspielort ist dieses hervorragend geeig­net für große Kinoereignisse; ein großer Saal, gute Sicht von allen Plätzen, beque­me Sitze und eine hervorragende Technik garantieren dem Cineasten beste Re­zeptionsbedingungen.
Aber es ist ein Unterschied, ob man einen Film vorführt oder als originäres Ereignis präsentiert. Es genügt eben nicht, einen prestigeträchtigen Ort zu wählen, der sich vom Kino unterscheidet, um das Filmereig­nis zu einem Besonderen zu machen.
In Frankfurt gibt es, neben den kommer­ziellen Kinos, genügend Kinoexperten und Filmliebhaber, die diesen Film - auch im Schauspielhaus als Ort - phantasievoll, liebevoll und adäquat präsentiert hätten. Diese Chance ist vertan!
Man kann nur hoffen, daß diese Entgleisung eine Einmalige bleibt. Wenn schon Film im Schauspielhaus, dann aber von Kennern und Könnern des Kinos organisiert und durchgeführt.
Eine "Heimat", und zwar die Erste, su­chen die Vereine "Pupille" und "Schöne Neue Welt" schon lange. Als Kenner und Könner des Kinos (s. o.) veranstalten deren Mitglieder seit Jahren unter schwierigsten Bedingungen inhaltlich orientierte Film- und Diskussionsreihen in der "Camera".
Dieses ehemalige Kino, von der Universi­tät als Tagungs- und Seminarraum zweckentfremdet, soll nun endlich, nach vielen vergeblichen Anläufen, wieder zu einem Kino umgebaut und von den bei­ den Vereinen betrieben werden. Für die Frankfurter Kinolandschaft, die, von weni­gen Ausnahmen abgesehen (Kommunales Kino, Mal Seh'n, Orfeo), ausschließlich mainstream-Filme präsentiert, wäre dies ein Gewinn.
Für ihr inhaltlich und ästhetisch an­spruchsvolles Programm erhielten "Pupille/Schöne Neue Welt" nun den mit DM 25. 000. - dotierten Frankfurter Kinopreis.
Überreicht wurde der Preis von der Kultur­dezernentin Linda Reisch im Anschluß an die Vorführung des o.g. Edgar Reitz-Films im Schauspielhaus!

Zufall? Dies muß ja nicht der "Beginn einer wunderbaren Freundschaft" sein, aber über Kooperationen mit kompetenten Partnern könnte man im Schauspielhaus nach der "heimatlichen" Erfahrung schon mal nachdenken. Wer würde sich nicht über gut präsentierte Filmereignisse in dieser Umgebung freuen?

 

Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)

Schlagworte: Spielfilm, Auszeichnung, Kino, Filmpolitik

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