GRIP 04

01.12.1992

Politik - Fritz Hertle - In Sachen Film

Wenn es nach dem Grünen-Politiker Fritz Hertle geht, stehen die Zukunftszeichen für den Film in Hessen gar nicht so schlecht.

Von Gabriele Juvan

Der Grund? Als Folge von Gewalt­ausbreitung und Ausländerfeindlichkeit erwartet Hertle eine neue Kulturdebatte in Politik und Gesellschaft. Nicht nur der hessische Landtag werde sich darüber Gedanken machen müssen, wie es zum gesellschaftlichen Normenverfall gekom­men sei und wie man dem entgegensteuern könnte. Und weil der gelernte Lehrer weiß, daß Kinder und Jugendliche heute lieber mit dem Gameboy spielen statt Puzzles zu legen, daß sie die Drei-Minuten-Clips auf MTV besser kennen als die Löcher auf der Blockflöte und daß ihre Gänsehaut von Action-Videos und nicht von der Lektüre des ‘Hundes von Baskerville’ stammt, sieht Hertle Chancen für das Zielgruppen­ Medium Film.
Allerdings kennt der 48jährige als Vorsit­zender des Landtagsausschusses für Wis­senschaft und Kunst und als kultur­politischer Sprecher seiner Partei die Rea­litäten gut genug, um zu wissen, daß es sich hierbei um ein zähes Überzeugungs­geschäft handelt. Mit knapp zwei Millio­nen Mark pro Jahr für kulturelle Film­förderung ist Hessen in Sachen Film im­mer noch ein Entwicklungsland, sagt Hertle. Daran läßt sich auch nicht rütteln, wenn die 130. 000 Mark hinzugerechnet werden, die Kulturpolitiker nach einem Antrag von SPD und Grünen 1993 trotz des engen hessischen Geldsäckels für Abspielförderung durchgedrückt haben.
Die hessischen Grünen haben sich langfri­stig die ökologische Umgestaltung der Gesellschaft zum Ziel gesetzt. Im landespolitischen Tagesgeschäft heißt das in der Regel: Biblis und Müllprobleme. In Herdes Augen wird dabei aber übersehen, daß gesellschaftlicher Wandel nicht nur durch Altpapiersammlungen und Störver­ordnungen herbeigeführt wird, sondern dadurch, daß auch für Grundfragen, für Philosophie und Schöngeistiges genug Platz ist. Eine ökologische, demokratische und weltoffene Gesellschaft sei nur im kulturellen Kontext zu erreichen, sagt er. Das müsse man in die Köpfe der Umwelt­politiker immer wieder einpflanzen.
Eine solche Chance für die Filmleute sieht Hertle in der Landtagsanhörung zur Lage des hessischen Films, die im kommenden April stattfinden wird. Diese Veranstal­tung war ursprünglich als Zwischenbilanz der hessischen Situation in Zeiten der neuen Fördermodelle, des europäischen Binnenmarktes und der wachsenden Länderfilmförderungen in den neuen Län­dern gedacht. Durch die Randale und Morde im vergangenen Herbst dürfte aber auch hier schon einiges an Ursachen­forschung anklingen und auf die einfache Formel gebracht werden, daß einseitige Beschäftigung mit Wirtschaftswachstum noch keinen guten Menschen macht.
Gerade in der Anhörung sieht Hertle die Möglichkeit, daß die geladenen Film­ experten auch auf die Parlamentarier mit ganz anderen Interessensgebieten den nötigen argumentativen Druck machen und deren Informationsniveau über das hessi­sche Stiefkind Film heben. Filmleute, so wünscht sich Hertle, sollen nicht mehr aus Hessen Weggehen müssen, um erfolgreich arbeiten zu können, wie gerade jüngst wie­ der bei der Kasseler Hälfte der Oscar­ preisgekrönten Lauenstein-Brüder gesche­hen. Heißt das also, daß die Filmemacher den Politikern die Kohlen aus dem Feuer holen sollen, die diese dort haben an­ schmoren lassen? Weit gefehlt. Auch wenn Hertle Film als wichtige Opposition ge­gen ‘Deutschland den Deutschen’ sieht, dürften Film und Kultur nicht einer be­stimmten politischen Dimension dienstbar gemacht werden, sagt er. Beispielsweise Doris Dörries’ HAPPY BIRTHDAY; TÜRKE - in Frankfurt gedreht und von der hessischen Filmförderung mitgefördert - sei jedoch ein exzellentes Beispiel, daß Ausländerfeindlichkeit auch selbstironisch zum Gegenstand eines Unterhaltungsfilms gemacht werden könne.
HAPPY BIRTHDAY; TÜRKE hat Hertle gleich mehrmals gesehen. Ich gehe, wenn immer ich Zeit habe, in gute Filme. Der erste Film, an den er sich erinnern kann? Bambi, als ich fünf Jahre alt war. Als Schuljunge hat der heutige Kulturpolitiker nach eigenem Bekunden viel Zeit in Kino und Theater verbracht. Monumental­schinken wie DIE BRÜCKE AM KWAI, Komödien wie die FEUERZANGEN­ BOWLE, aber auch der Anti-Kriegsfilm DIE BRÜCKE sind ihm in Erinnerung. In Studentenzeiten folgte eine intensive Eddie-Constantine-Phase mit kultisch ge­feierten Spätvorstellungen, in denen die Zuschauer die Dialoge zulieferten. Seit es im Fernsehen jedoch den ARTE-Kanal gibt, haben Herdes Kinobesuche nachgelassen. Heute erfährt er von seinen beiden fast erwachsenen Kindern, daß GRÜNE TOMATEN gerade ein Renner ist. Von ihnen weiß er, daß Selbstironie ‘In’ und Moralinsaures ‘out’ ist.
So weit so gut. Ob er aber auch weiß, daß ein einziger Film wie GRÜNE TOMA­TEN von hessischen Geldern nur zu ma­chen wäre, wenn Drehbuch-, Verleih- und Abspielförderung gestrichen und die ge­samte Fördersumme von 2, 1 Millionen Mark für mehrere Jahre in den Sparstrumpf wandert?

Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)

Schlagworte: Politiker*in, Filmpolitik, Filmförderung, Kulturförderung, Wirtschaftsförderung

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