GRIP 04

01.12.1992

Ein Konzept zur Wiederinbetriebnahme der CAMERA als Kino

Der Frankfurter Filmpreis wurde 1992 dem Verein pupille + Schöne Neue Welt verliehen. Anlaß für pupille + Schöne Neue Welt, ihr Konzept zur Wiederinbetriebnahme des ehemaligen Kinos CAMERA zu veröffentlichen

Von Redaktion

Ein gemeinsamer Vertragsentwurf mit der Universität sieht die Wiederinbetriebnah­me der CAMERA zum Jahreswechsel 1993/1994 vor. Das Einvernehmen mit der Universität ist Grundlage für die ab­ schließenden Verhandlungen mit dem hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Pupille + Schöne Neue Welt e. V. rechnen mit der Unterzeichnung noch in diesem Jahr.
Die neue CAMERA wird zugleich univer­sitäres Kino und Programm/Erstaufführungstheater sein. Das Projekt CAMERA ist in der deutschen Kinolandschaft in zweifacher Hinsicht ein Novum: Die Sanierung des CAMERA-Gebäudes und seine Ausstattung als Kino wird durch die Zusammenarbeit eines privaten Trä­gers und der öffentlichen Hand realisiert.
Das heißt, die beiden Vereine engagieren sich mit einer finanziellen Beteiligung bis zu 50 % an den Um- und Ausbaukosten der CAMERA.
Dadurch kann das Land Hessen trotz knap­per Mittel ein universitäres Kino für den Schwerpunkt Filmwissenschaften im neu eingerichteten Studiengang Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität verwirkli­chen sowie die notwendigen Vorausset­zungen für eine sachgerechte Erfüllung der Lehr- und Forschungsaufgaben in die­sem Bereich schaffen. Zugleich ist die Zusammenarbeit mit Pupille und Schöne Neue Welt e. V. ein Schritt hin zu einer Kulturpolitik, die Pflege und Förderung von Kinoöffentlichkeit ebenso wichtig nimmt wie die Förderung neuer Filmpro­duktionen. Das Projekt CAMERA macht mit der Erkenntnis ernst, daß eine kulturel­le Filmförderung ohne gleichzeitige kulturelle Förderung der Kinoöffentlichkeit "Ki­nofilme ohne Kinos" produziert.

Die Preisträger werden als künftige Betrei­ber der CAMERA endlich ihre Filmprojek­treihen, die aber Jahre aufgrund der schwierigen räumlichen Bedingungen nur temporär durchführbar waren, zu einem ständigen Angebot für alle Frankfurter ausbauen können und sich zugleich ver­pflichten, tagsüber für den currikularen Bedarf Filmseminarveranstaltungen durch­ zuführen.
Das Abendprogramm wird der Vielfalt der Filmkultur jenseits der major companies gewidmet sein. Leitmotivisch struktu­riert wird es durch Themen, die monatlich wechseln. Etwa zwölf Mal im Jahr werden Filmprojektreihen und kleine Festivals in wechselnder Folge Verbindungen herstellen zwischen aktuellem und historischem Filmschaffen. Ausführliche Programmhef­te, die neben der Filmästhetik den gesell­schaftlichen Kontext würdigen, sind, wie bereits in der Vergangenheit realisiert, Basis und thematische Klammer eines je­ den Schwerpunkts.
Die Realisierung eines solchen Programms bedarf nicht nur der Zusammenarbeit mit Filmemachern und engagierten Verleihern, sondern auch der Kooperation mit ande­ren Institutionen der Kulturvermittlung, beispielsweise dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin und dem Institut Francais, sowie den öffentlich-rechtlichen Fernsehan­stalten. Die Zeit bis zur Eröffnung der CAMERA werden die Vereine für den Aufbau tragfähiger Kooperationsbeziehungen nutzen.
Die Wiederinbetriebnahme der CAMERA als Kino hat also zwei Funktionen, wobei selbstverständlich das abendliche Pro­gramm das curriculare Angebot für die studentische Aus- und Weiterbildung er­gänzen wird. Ein Basiswissen in Filmge­schichte und -ästhetik läßt sich allein in Seminaren nicht erarbeiten. Das abendli­che Angebot an filmhistorischen und länderübergreifend zusammengestellten cinematographischen Werken ist Garant dafür, daß die Studierenden des Haupt­studienfachs Film überhaupt die Filme sehen können, die für eine qualifizierte Aus­bildung und profunde Kenntnis der Film­geschichte zwingend geboten erscheinen.
In diesem Sinne erfüllt das abendliche Filmangebot die Funktion einer visuellen Bibliothek nicht nur für die Studierenden dieses Fachbereiches. Die Verknüpfung von aktuellem Filmschaffen und Filmge­schichte ist als "Schule des Sehens" auch über die Universität hinaus konkurrenzlos.

Ausstattung der CAMERA als Kino:
Kinosaal mit 320 Sitzplätzen.
Leinwand im Format 11 m x 4,7 0 m.
Dolby-SR-Ton.
Das technische Equipment wird so ausge­legt, daß neben den Filmkopien in 35 mm (Formate: 1:1 , 33; 1: 1,6 6; 1: 1, 85; 1: 2,3 ) und 16 mm mit Magnet- oder Lichtton auch Stummfilme in Originalgeschwindig­keit sowie Filmkopien der Fernsehanstalten (Zweiband) und Rohschnitte gespielt werden können.
Ein Videoprojektor mit 16mm-Projektionsqualität für die große Leinwand ergänzt die Abspielmöglichkeiten.
Für Filme in fremdsprachigen Originalfas­sungen wird eine Infrarot-Übersetzungsanlage installiert, die auch für mehr­ sprachige Diskussionen, kleinere Film-Festivals, Kongresse genutzt werden kann.
Der Qualitätsstandard der technischen Ausstattung orientiert sich am Deutschen Filmmuseum.
Das Foyer wird zu einer Café-Bar mit 60 Plätzen ausgebaut.

Aus der Präambel des gemeinsa­men Entwurfs des Pachtvorvertrags zwischen der Johann Wolfgang Goethe-Universität und Pupille & Schöne Neue Welt e.V .:
Die Verpächterin beabsichtigt, die ehemaligen CAMERA-Lichtspiele umzubauen und auszustatten. Die Herrichtung des Gebäudes erfolgt mit dem Ziel einer dau­erhaften Nutzung als universitäres Kino.
Mit dem Umbau und der Sanierung des Bauwerks werden die notwendigen Voraussetzungen für eine sachgerechte Er­füllung der Lehr- und Forschungsaufgaben im Schwerpunkt Filmwissenschaft geschaf­fen. Gleichzeitig eröffnet sich die Mög­lichkeit einer verstärkten publizitären Ein­bindung der Universität in die Stadt. Eine Abstimmung zwischen den curricularen und wissenschaftlichen Erfordernissen so­ wie der Gestaltung und Ausfüllung des Abendprogramms wird dabei angestrebt.
Die Verpächterin verpachtet an die Pächterin das Anwesen Gräfstraße 79, 6000 Frankfurt 90, zum Zwecke des Be­triebs eines universitären Kinos. Die Inbetriebnahme durch die Pächterin bein­haltet insbesondere das Betreiben der CAMERA als curriculares Kino, sowie ihre Nutzung als lokaler Kristallisationskern für Filmkunst und notwendigen ergänzen­ de Veranstaltungsangebote. Zur Erreichung dieser umfassenden Zielsetzung ist die Pächterin berechtigt, eine Café- bzw. Bistrorestauration in dem gepachte­ten Anwesen einzurichten und zu betrei­ben.
(...)
Die Parteien sind sich weiterhin darüber einig, daß die Pächterin im wesentlichen den mobilen Teil der Ausstattung zu tra­gen hat. Dies beinhaltet insbesondere die Projektions- und Tontechnik, akkustischen Ausstattung, Bestuhlung und Foyer-Aus­ stattung.
(... )
Die Kostenbeteiligung der Pächterin beträgt maximal 50 % der Gesamtkosten sämtlicher Baumaßnahmen einschließlich der technischen Innenausstattung für den Film- und Gastronomiebetrieb.
(... )
Weiterhin werden die Pächterin und die Johann Wolfgang Goethe-Universität als Bestandteil des vorliegenden Pacht­vertrages einen Werkvertrag zur Durch­führung von Filmseminarveranstaltungen abschließen.

Eine Chronik Schöne Neue Welt e. V.
1982 Gründungsversammlung
1983 Erstes Freiluftkino in Frankfurt/Main.
1984 Erstmaliges Open-Air-Kino am Mainufer in Kooperation mit Kommunales Kino/Deutsches Filmmuseum.
Seit 1987 regelmäßige Projektkino­veranstaltungen (Film- und Diskus­sionsreihen zu einem inhaltlich ausgewie­senen Themenkomplex) in Zusammenar­beit mit Pupille e. V., provisorisch im CAME- RA-Gebäude:
1987 Geschichte und Identität - zur Historikerdebatte
1987 Frühling in Moskau - kritische Filme der UdSSR im Umbruch
1988 199 Jahre Französische Revolution 1988 Deutschlandbilder I und II
1989 Die Fremde Sehen - unbekannte Meisterwerke aus Entwicklungs- und Schwellenländern
1989 Kleist im Film (in Zusammenarbeit mit Institut für Deutsche Sprache/Uni Frank­furt)
1989 City-Lights - Großstadt und Film 1990 Wächst jetzt zusammen, was zu­sammengehört? - Vortragsreihe zur Pro­blematik der Wiedervereinigung -
1990 Erstehung eines Konzepts für ein multikulturelles Stadtteilkulturzentrum im Frankfurter Stadtteil Gallus
1990 People Are Strange, When You Are A Stranger (Open-Air)
1991 Lights Out in Europe - Der ÜberfalI auf Europa und die nationalsozialistische Barbarei
1991 Orient is Different - Nachlese zur Diskussion um den Golfkrieg
1991 Der Traum, die Sehnsucht und die Familie (In Zusammenarbeit mit Film­professur Uni Frankfurt)
1992 Escape to Life? -.. weil sie leben wollen wie ein Mensch, werden sie er­schlagen wie ein Tier.. - zur FIüchtlingsproblematik und den rassistischen Über­fällen.

Pupille e. V.
Kino an der Uni seit Anfang der 70er Jahre in der Nachfolge des 1953 gegrün­deten Filmstudio an der Johann Wolfgang Goethe-Universität "Mutter der frankfurter Programmkinos"
Spielort bis 1983: Pupille - Festsaal im Studentenhaus In den siebziger Jahren berühmt aufgrund ihrer Frankfurter Erstaufführungen von cinematographischen Entdeckungen wie "1789" (Mnouchkine), "Roter Holunder" (Schukschin), "Cèline und Julie fahren Boot" (Rivette), "O Thiassos" (Ange- IopouIos), und viele mehr, die erst später zu Klassikern wurden.
Betreuung von Filmen von Alexander Klu­ge, Wim Wenders, Rosa von Praunheim, Jutta Brückner 1977 Erste Frauen-Film-Wochen 1978 antifaschistische Filmwochen; Afrikanischer Film 1979 Sonderveranstaltung mit Syberbergs "Hitler"-Film (einzige Aufführung in der BRD)
1980 Frankfurter Kinopreis für ihr "risikoreiches Programm" 1981 Gründung des "Frauenkinos" in der Pupille seit 1983 Einschränkung des Spielbetriebs aufgrund feuerpolizeilicher Verordnung 1985 Pläne der Universität zum Umbau des Pupille-Festsaals zu einem reinen Theatersaal Ab 1987 Zusammenarbeit mit Schöne Neue Welt e. V., im Mai erste Film- und Diskussionsreihe "Geschichte und Identität" zum Historikerstreit in der CAMERA pupille + Schöne Neue Welt e. V.

Kategorie: Hintergrundbericht (GRIP FORUM)

Schlagworte: Kino, Institution, Kulturförderung

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