GRIP 02

01.07.1992

Ruth Wagner, Filmpolitikerin in Hessen

Mit Ruth Wagner, FDP. Vizepräsidentin des Hessischen Landtags, beginnen wir eine Reihe von Portraits, um die Landespolitikerinnen- und Politiker vorzustellen, in deren Aufgabenbereich auch der Film gehört. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, mehr über Positionen und Perspektiven der hiesigen Filmpolitik zu erfahren.

Von Gabriele Juvan

Obwohl sie zur Zeit gemeinsam mit ihren Parteikollegen von der FDP die Oppositionsbank im Wiesbade­ner Landtag drückt, hat der hessi­sche Film in der Freidemokratin Ruth Wagner noch immer eine seiner ver­läßlichsten Lobbyistinnen. Daß die bescheidenen 2,1 Millionen Mark, die sich Hessen für die Filmförderung leistet, unter dem Rotstift der rot­ grünen Landesregierung in diesem Jahr nicht noch weiter zusammen­gestrichen worden sind, ist nicht zu­letzt auch ihrem Einsatz zu verdan­ken.

Im vergangenen Herbst hat die 54jährige Darmstädterin über die Karl-Hermann-Flach-Stiftung e.V. ein Symposium zum Thema "Kino zwi­schen Kult und Kommerz” initiiert, auf dem Experten über die Chancen und den Förderbedarf von Film dis­kutierten. Und als ihr Parteikollege Wolfgang Gerhardt in der ehemali­gen CDU/FDP-Regierung noch Minister für Wissenschaft und Kunst war, hat sie mit ihm den ansehnli­chen hessischen Filmpreis auf den Weg gebracht.

Dies sind nur einige Beispiele, mit denen sich Ruth Wagner vor den Kulissen für Film und Kino eingesetzt hat. Es freut die Kulturpoliti­kerin, daß das durch die Opposi­tionsrolle eingeschränkte Engage­ment noch immer Früchte trägt. Hessische Film-Leute, sagt Ruth Wagner, melden sich immer wieder, um sie auf dem Laufenden zu halten oder sich einen Tip zu holen. Als Beispiele dafür nennt sie ihre Kon­takte zum Kino Traumstern in Lich, nach Kassel oder zum Kommunalen Kino in Weiterstadt.

Blickt Ruth Wagner jedoch auf die Kulturpolitik der derzeitigen Landes­regierung, erkennt sie nur resignierend, daß "der gesamte Kulturbereich in dieser Legislaturperiode nicht gesehen wird”. Die Mittel für den Denkmalschutz seien um 20% gekürzt worden, die Summe, die für Museen zur Verfügung steht, stag­niere, und die Gelder für Filmförde­rung seien nur mit großem Einsatz vorm Rotstift zu retten gewesen. Dies hält Ruth Wagner schlicht für kurzsichtig, denn nach ihrer Ein­schätzung ist Kultur eben nicht nur die "Sahnehaube obendrauf". Dabei verweist sie auf eine gerade aktua­lisierte Studie des Münchner IFO- In­stituts von 1987, mit der erstmals die von Kulturförderung ausgehen­ den enormen Wirtschaftsimpulse nachgewiesen worden sind. Völlig unterschätzt würden beispielsweise die positiven Wirtschaftseffekte für Industrie, Gastronomie und Einzelhandel, die sich als Folge staatlicher Kulturförderung ergeben und bei mangelnder Förderung als uner­wünschter Folge-Effekt "wegbre­chen könnten".

Wenn die FDP-Politikerin könnte, würde sie das hessische Engage­ment in Sachen Film auf vier Schwerpunkte aufbauen: In einem Flächenland wie Hessen müsse Kino­förderung auf dem Land verstärkt werden, weil Kinos regionale Anzie­hungspunkte seien. Der bereits in Hessen bestehende Ansatz, den so­ genannten kleinen Film, den Programm- und Dokumentarfilm zu stärken, könne beibehalten werden. Zugleich müsse die Fördersumme des Landes jedoch auf vier bis sechs Millionen Mark jährlich ver­doppelt oder verdreifacht werden. Und schließlich müsse man überlegen, wie Bundesmittel des Wirt­schaftsministeriums stärker nach Hessen geholt werden könnten.

All dies ist für Ruth Wagner nicht nur eine Frage von "Mehr” in eigenem Land, sondern auch eine von Koordi­nation zwischen den einzelnen Bun­desländern und in der gesamten EG. Motto: Nicht jeder muß alles ma­chen, aber durch die Aktivitäten von vielen sollte vieles möglich sein. Ein gutes Beispiel hierfür ist für die Liberale die Rettung des DEFA-Gelän­des in Babelsberg, wo mit Hilfe ei­ner französischen Firma und der Bertelsmann AG 700 Arbeitsplätze erhalten und weitere geschaffen werden könnten. Gerade von dort zurückgekehrt, sieht Ruth Wagner im neuen Babelsberg-Konzept neben kommerziellen Fernseh- und Video­produktionen auch den Raum für kleinere und experimentelle Arbei­ten. Babelsberg, hat ihr Volker Schlöndorff beim Fachsimpeln versi­chert, werde neben Hollywood und Hongkong weltweit das Filmzen­trum Nr.3.

In der öffentlichen Förderung ist Film nach Ruth Wagners Einschätzung nach wie vor das Stiefkind. So habe die öffentliche Hand 1989 in den al­ten Bundesländern gerade 100 Mil­lionen Mark für Filmförderung ausge­geben, dagegen aber zwei Milliar­den Mark für die Theater. Die wür­den in der Kulturpolitik zwar gern als repräsentative Vorzeigeobjekte gehandelt, mit ihrer Unflexibilität und ihren hohen Personalkosten seien sie für Kritiker aber auch ein gefun­denes Negativ-Beispiel für Ineffi­zienz von Kulturprojekten schlecht­ hin.

"Dem Film fehlt eine Lobby wie sie etwa die Landwirte oder die Bergleute haben”, meint Ruth Wag­ner. Aber dies liegt in ihren Augen nicht nur an uninteressierten Politikern, sondern auch am ungeschick­ten Auftreten der Filmschaffenden für eigene Belange. Als Politikerin könne sie leichter argumentieren, wenn sie Zahlen und Fakten zur Hand bekommen habe. Und viel zu häufig werde die Bedeutung der Filmarbeit im allgemeinpolitischen Zusammenhang vergessen. Sprich, das im politischen Diskurs wichtige Argument: "Was bedeutet die Ar­beit der Filmschaffenden eigentlich für jeden einzelnen Bürger?"

Wenn heute - egal ob für einen Ma­nager oder einen Arbeiter - ein Um­zug anstehe, sei das kulturelle Angebot ein ökonomischer Standortfak­tor ersten Ranges. Den Fragen "Was kostet eine Wohnung?” und "Welche Schulen gibt es?" folge als näch­stes gleich: "Wie kann ich meine Freizeit verbringen?” Mit genau die­ser von ihnen geschaffenen Le­bensqualität müßten die Kulturschaf­fenden auch argumentieren, sagt Ruth Wagner, die mit der geschick­ten Durchsetzung politischer Ent­scheidungen inzwischen so einiges an Erfahrungen hat...

Kategorie: Personenportrait (GRIP FACE)

Schlagworte: Filmpolitik, Filmförderung, Politiker*in, Kulturförderung

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