GRIP 02
01.07.1992
Nach dem Autoscooter wieder auf die Achterbahn
Bruno Schneider, der als erster Geschäftsführer das Filmhaus Frankfurt über zwei Jahre lang leitete, hat sein Amt zum 1. Juli 1992 an Ernst Szebedits (siehe GRIP 1) übergeben. Nun ist er wieder freischaffender Filmemacher.
Von Susanne Walter
GRIP: Du warst jetzt über zwei Jahre Geschäftsführer des Filmhauses Frankfurt e.V., hast in dieser Position von der Gestaltung des Briefkopfes bis hin zu Verhandlungen mit führenden Politikern sowohl undankbare als auch erfolgreiche Aufgaben bewältigt. Wie beurteilst Du Deine Erfahrungen, angefangen von der Filmszene bis hin zur Auseinandersetzung mit der Stadt Frankfurt?
Bruno: Ganz unter uns: die Gestaltung des Briefkopfes war nun weder undankbar noch besonders erfolgreich, sondern einfach so, daß ich skrupellos noch einmal für diesen Entwurf votieren würde. Zur Filmszene: Die hat hier in der Filmprovinz Frankfurt schon einen eigenen und eigenartigen Charakter.
Da ist auf der einen Seite die knallhart wirtschaftlich arbeitende und im allgemeinen sehr gut verdienende Branche des Industrie- und Werbefilms, auf der anderen ein Spektrum von Filmemachern auf unterschiedlichem qualitativen Level, die zum Teil noch geprägt sind von den politischen Utopien der 68er Bewegung, zum Teil von künstlerischen Vorstellungen, bei deren Verwirklichung die Kategorie Geld eher als störend oder kontraproduktiv empfunden wird. Bei aller Annäherung und persönlicher Freundschaft zum ersten schlägt mein Herz immer noch mehr für den zweiten Teil des Spektrums. Im Zuge einer zunehmenden Fixierung im offiziellen Kulturbetrieb auf Fassade, Schaum und Geld haben sich viele dieser Filmemacher mehr oder weniger entschlossen, oft halbherzig, von dem opulent ausgestatteten (Hoch-) Kulturbetrieb distanziert.
Abgesehen davon, daß man zum Filmemachen Geld braucht und die unbefleckte Empfängnis auch in diesem Bereich nur wenigen gelingt, wurde die Distanzierungsbewegung vor allem dadurch problematisch, daß sich viele sehr individualistisch an ihren Schreib- und Schneidetisch zurückgezogen haben. Damit starb die kontroverse und produktive Auseinandersetzung mit dem Medium Film im allgemeinen und mit ihren eigenen Filmen im besonderen, peu á peu ab. Eine praktische Grundsolidarität in entscheidenden Fragen, wie sie trotz aller Konflikte in anderen Städten vorhanden ist, ein Verständnis von "wir Frankfurter Filmemacher" gibt es hier nicht oder kaum.
GRIP: Was hat das zur Folge?
Bruno: Das hat zu relativer Stagnation geführt. Dabei gibt es durchaus respektables Potential von Kreativität. Da sind eine ganze Reihe von "autonomen” jungen Filmemachern, da sind die Studenten und Absolventen von HfG und Städel und etliche Rucksackproduzenten und Individuen, die abseits von kurzlebigen Main-Streams sich auch an unpopuläre Inhalte begeben und dabei ihren ganz persönlichen Stil entwickeln.
Aber - und damit komme ich zum letzten Teil Deiner Frage - um sich durchzusetzen, braucht auch der Film eine Lobby. Und diese Lobby wiederum braucht eine (kultur-) politische Resonanz. Die Stadt Frankfurt hat sich dem Film als aktuellem Medium gegenüber sehr ignorant verhalten, seine kulturelle, kulturpolitische und noch unabsehbare wirtschaftliche Bedeutung absolut verkannt. Auch Hilmar Hoffmann hat da eindeutig andere Schwerpunkte gesetzt. Es steht für mich außer Frage, daß das jetzige Konzept eines Medienzentrums Bosch Fabrik, in dem das künstlerisch-kulturelle Spektrum des Films Tag für Tag und Auge in Auge mit seinen wirtschaftlichen Implikationen konfrontiert ist und umgekehrt, einen qualitativen Entwicklungsschub einleiten wird. Das mag jetzt sehr hochgegriffen erscheinen, aber laß’ uns in ca. fünf Jahren noch einmal darüber sprechen!
GRIP: Gibt es etwas, das Du lieber anders verwirklicht hättest?
Bruno: Nein, anders nicht. So, wie ich es gemacht habe, war und ist es Ausdruck meiner persönlichen Prioritäten. Natürlich hätte ich gerne manches schneller verwirklicht, vor allem den Einzug in die Bosch-Fabrik. Und hätte gern mehr Zeit in die konkrete Filmhaus-Arbeit, besonders in die Pflege und den Ausbau persönlicher Kontakte, investiert als in politische Überlebens- und Absicherungsstrategien. Aber daran führte aufgrund der ganzen finanz- und personalpolitischen Imponderabilien kein Weg vorbei und daß das Projekt Filmhaus jetzt noch und wieder in einer so vielversprechenden Position ist, beweist, daß wir auch in dieser Hinsicht nicht falsch oder gar umsonst gearbeitet haben.
GRIP: Auf welchem Stand der Dinge befindet sich das Filmhaus bezüglich umgesetzter inhaltlicher Vorgaben heute?
Bruno: Ein breites Veranstal tungsspektrum - von Seminaren/ Workshops über kooperative Projekte mit Institutionen aus dem Theater- und Literaturbereich-, medien politische Symposien und ein Hearing, filmanalytische, -ästhetische, - historische und -technische Veranstaltungen, eine überwiegend von Sponsorgeldern finanzierte Filmparty in der Bosch-Fabrik, die Einrichtung eines regionalen Filmarchivs, die Öffnung eines Filmhaus Programmfensters für Kurzfilme durch den Hessischen Rundfunk, die Zusammenführung von Film-/Medieninstitutionen im "Arbeitskreis Film & Medien” gemeinsam mit der MEWI, das Episodenfilmprojekt 15 x 3 und das in Vorbereitung befindliche Nachfolgeprojekt "Stadt 2050”, die Herausgabe von "GRIP", kooperativ mit dem Filmbüro, das druckfrisch vorliegende, vom Filmhaus erstellte, Handbuch für Film, Fernsehen und Neue Medien im Rhein-Main-Gebiet, die Gründung einer Betreibergesellschaft zusammen mit 14 Firmen der Film- und Videobranche und fünf filmkulturellen Institutionen zur Anmietung der Bosch-Fabrik und die schriftliche Zusage der Filmhaus-Finanzierung im künftigen Medienzentrum durch die Regierungsfraktionen im Römer sind geraffte Beispiele für die Aktivitäten des Filmhauses in den letzten zwei Jahren. Detailliert aufgeschlüsselt findet sich das in den Jahresberichten 1990 und 1991 und dem Programm für das erste Halbjahr 1992.
GRIP: Wie entwickeln sich die Verhandlungen um die Bosch-Fabrik?
Bruno: Nach den Informationen aus dem Magistrat und nach Darstellung des aktuellen Verhandlungsstandes durch Bernd Lunkewitz sind inzwischen fast alle Hürden überwunden. Einer letzten Klärung bedarf noch die Perspektive des auf dem Gelände der Bosch-Fabrik existierenden Umspannwerkes, dessen Funktion Ende 1993 ein neues, im Bau befindliches Umspannwerk auf dem Messegelände übernehmen soll. Dazu liegen bereits Gutachten vor und Bernd Lunkewitz geht da von aus, daß er definitiv Ende August mit den Bauarbeiten beginnen kann. Ich möchte es gerne endlich glauben können!
GRIP: Was außer dem Einzug in die Bosch-Fabrik muß Deiner Meinung nach unbedingt verwirklicht werden?
Bruno: Mit dem Umzug geht's überhaupt erst richtig los, denn damit wird es den schon lange beschworenen "nucleus" der Frankfurter Filmszene endlich geben - wenn nicht noch irgendwelche politischen Kernbeißer rechts und links der nächsten Kommunalwahlen auftauchen, um die Stärke der Schnäbel zu testen. Denen das Medienzentrum als exotische Voliere schmackhaft zu machen, das ist noch eine reizvolle Aufgabe, die ansteht oder auch -liegt.
GRIP: Gibt es einen Rat, den Du Deinem Nachfolger Ernst Szebedits gerne mit auf den Weg geben möchtest?
Bruno: Ja: Adelante! (Kampfruf des spanischen Widerstandes: Vorwärts! D. Red.)
GRIP: Wirst Du dem Filmhaus auch weiterhin als aktives Mitglied erhalten bleiben, Dich also z.B. weiter im "Arbeitskreis Film & Medien” engagieren?
Bruno: Mein Selbstverständnis als Mitglied wird voll befriedigt durch meine Mitgliedschaft im Filmhaus, im Filmbüro, im Filmbürovorstand. Außerdem bin ich noch Mitglied der IG Medien. Das reicht mir an Mitgliedschaften. Bei den ersten drei war und bin ich engagiert und werde es bleiben - da komm ich von meiner Vergangenheit und Zukunft in der Frankfurter Filmszene nicht los - und will es auch gar nicht!
GRIP: Wie beurteilst Du Deine Chancen, das "Comeback” in die Produzenten- und Filmtätigkeiten zu schaffen?
Bruno: Die Chancen, neue Filmideen zu entwickeln, bereits vorhandene zu drehreifen Vorlagen weiterzuentwickeln, also im Kopf und im Laptop Kapriolen zu schlagen: sehr gut, hervorragend! Da bin ich nach zwei Jahren Geschäftsführertätigkeit, also entsprechender Abstinenz, hochgradig motiviert. Die Chancen, für das berühmte Fernsehfünftel die Finanzierung zusammenzuscharren - härter, zäher, ätzender als vorher. Die Konkurrenz schläft nicht, die Fernsehanstalten überbieten sich gegenseitig in einem Angebot von schier unerschöpflicher Leere, die Qualität ist längst - bis auf extrem wenige Nischen - der Quantität gewichen und es wird beleidigend penetranter um jede Mark gepokert. Trotzdem habe ich Lust, freue ich mich darauf: Nach dem Autoscooter geht's wie der auf die Achterbahn!
Kategorie: Interview
Schlagworte: Filmhaus Frankfurt, Filmpolitik, Kulturförderung
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