GRIP 02
01.07.1992
Die Welt des Sports - Formel I: Der Sport der Zukunft
Fast jedes zweite Wochenende findet im Fernsehen ein sportliches Ereignis statt, für das sich jeder Science-Fiktion und Cyberpunk-Fan (Cyberpunk = In der SF-Literatur die mediale Verbindung von Mensch und Maschine) begeistern müßte: die Weltmeisterschaftsläufe der Königsklasse im automobilen Rennsport, der Formel 1! Ein Anlaß für Gedanken über die Zukunft dieses hochtechnologisierten, als finanzieller Supersport ausgestatteten Show-Business.
Von Susanne Walter
"Das Problem im Rennsport ist die Technik”, begründete der Ex-Formel-l-Pilot Keke Rosberg die vielen Ausfälle beim Grand Prix von Monaco. Damit meinte er natürlich nicht etwa mangelnde Fahrtechnik der betreffenden Piloten, sondern den technischen Aufwand, der in der Formel 1 mittlerweile betrieben wird, um die Boliden (griechisch: bolis = Geschoß; großer, besonders heller Meteor; syn. Feuerkugel; hier: Formel-l-Rennwagen) möglichst schnell ans Ziel zu bringen. Mag diese Behauptung auf den ersten Blick auch zutreffen, so fällt natürlich bei genauerer Betrachtung auf, daß nicht die Technik das Problem ist, sondern die Schnittstelle Mensch/Technik, bzw. Mensch/Maschine. Die Lösung für dieses Dilemma könnte in dem liegen, was zur Zeit als Ausdruck kulturell-apokalyptischer Sehnsucht von Performancekünstlern der Techno- Art Barcelona ’92 zur Expo in Sevilla geprobt wird: Virtuelle Realität! ”The Memory Palace” ist ein Projekt des Cyberpunk-Autors William Gibson, des britischen Video-Filmers Buzz und Mitgliedern der spanischen Theatergruppe ”La Fura Dels Baus”, die auch hierzulande schon für einiges Aufsehen gesorgt haben. Das Ziel der Art Futura liegt dabei weit hinter dem der Formel 1 zurück. Während es den Künstlern nämlich um die Intensität geht, die der Virtuellen Realität als "Erlebniswelt” unterstellt wird, braucht sich die Formel 1 mit dem künstlerischen "Ersuchen” erst gar nicht zu befassen, da es dort um das reine Funktionieren der Konstruktion Mensch/Technik geht. Den interaktiven Künstler wird es vielleicht nie geben, aber der Cyborg an den unsichtbaren Drähten der Telemetrie könnte die zukünftige Lösung der Formel 1 sein.
Ein Cyborg ist ein kybernetischer Organismus, die mediale Verbindung zwischen Mensch und Maschine. Ein Formel-l-Pilot qualifiziert sich heute durch die perfekte Abstimmung zwischen ihm und der Maschine. Insofern ist er zwar noch längst kein Cy- borg, aber das Medium Fernsehen mit seinen Direktschaltungen und Übertragungstechniken, an denen Rennwagen, Fahrer, Mechaniker, Teamchefs, Konstrukteure und Publikum gleichermaßen angeschlossen sind, simuliert den Menschen in der Maschine bereits fast genauso, wie William Gibson oder Bruce Sterling es in ihren Cyberpunkgeschichten erfunden haben.
Niki Lauda, Jochen Rint, Jackie Ickx und Jacky Steward sind heute schon gegenüber Ayrton Senna (der innerhalb der Formel 1 ohnehin schon als "Computergehirn” bezeichnet wird), Michael Schuhmacher, Nigel Mansell, etc, übertragungstechnisch reinste Nostalgie. Die heutigen Stars sind TV-Wesen, da ihr Tun ohne Medientechnologie nicht mehr nachgewiesen und/oder kontrolliert werden kann. Ist das Rennen ja schon an sich eine nicht aus Angst unternommene Fluchtbewegung, so kann sie nur durch die Neuen Medien in Einzelbilder zerlegt werden, die eine detaillierte Wahrnehmung erst ermöglichen, indem sie Bild für Bild das sichtbar machen, was gerade geschehen ist. Das gilt nicht nur für die TV- Übertragung, denn selbst die Rennwagen verfügen über ein Kommunikationssystem, das sämtliche technischen Daten via Telemetrie auf einem Monitor in der Box sichtbar werden läßt. Entweder wird dann im Wagen ein entsprechendes Signal ausgelöst, oder dem Fahrer wird verbal über Funk mitgeteilt, wie er den Wagen nun zu fahren hat. Bei Williams-Renault wird sogar schon die gesamte Radaufhängung auf den jeweiligen Kurs vorprogrammiert. Da es bei dieser immer schneller werdenden Flucht nach vorne darum geht, durch ständig um den Piloten herum fortentwickelte Techniken ein vorübergehend definiertes Ziel zu erreichen, nähert sich die Formel 1 also bereits dem an, was der Cyberpunk-Spezialist Michael Nagula so beschreibt: "Nicht A wie Angst schreibt sich der Android der Zukunft, sondern A wie der Andere in einer Schar Anderer, die einander in der Manier von Video-Clip-Schnittechniken ablösen. Ihr Charakteristikum ist Beliebigkeit, ihr Einfluß digital, entpersonifiziert. Es ist der Einfluß der Technik. Das "neue Fleisch”, das in Cronenbergs Videodrome verheißen wird, ersteht aus der Existenz von Technik, aus Medialität. Sie hat das erste - und das letzte Wort.”
Gerade die Medialität verlangt einerseits immer subtiler werdende Technologie bei der Konstruktion der Boliden und andererseits ein immer genaueres Abstimmen der Piloten auch auf die telegene Maschinerie des Formel-l-Zirkus. Wenn also schon Maschine, dann auch richtig. Der rasende Cyborg muß mit seinem kybernetischen Material im Boliden und als Chip des TV-Datenverarbeitungssystems gleichermaßen funktionieren, damit es sich für die Sponsoren, also diejenigen, die den Formel-l-Zirkus finanziell am Leben erhalten, überhaupt lohnt. Der Kommentator Willi Knupp vom RTL macht, wie übrigens alle seine Kollegen, verbal schon wahr, was die Technologie des Formel 1 Sports anstreben könnte. Er spricht zu gerne mal vom "flügellosen Senna”, womit er dem Fahrer ein Adjektiv vermacht, das sich eigentlich auf den verlorenen vorderen Teil des Wagens bezieht, den der Benannte fuhr. Ganz selbstverständlich scheint es für die TV-Reporter auch zu sein, daß zum Beispiel "Patrese an die Boxen fährt um sich neue Reifen zu holen”, "Capelli über die Curps hüpft”, ”Alboretto einen Dreher hatte”, "Mansell ohne Sprit 500 Meter vor dem Ziel liegenbleibt” oder "versucht, seine Reifen zu kühlen”. Besonders futuristisch klang es, als "Alesi Gerhard Berger über den Vorderflügel fuhr und deshalb bei McLaren andere Nasen bereitgelegt wurden” .
Und schließlich kommentierte Jochen Maas eine leichten Schleuderkurs mit den Worten: ”Ja, man ist da etwas spektakulärer unterwegs als es tatsächlich vom Cockpit aus der Fall ist”. Er war es auch, der sich noch beim Grand Prix von Barcelona verwundert darüber äußerte, wieso alle vom überragenden Könner Senna geredet hatten als dieser vergangenes Jahr seinem 3. WM-Titel entgegenfuhr, heute aber, wo Mansell fünf Mal hintereinander siegte, alle nur von Williams - also dem Wagen - sprechen. Dabei zeigt gerade das, worum es heute geht. Nicht mehr, wie im Kino, bei zum Beispiel Camerons "Terminator 2” oder Verhoevens "Robocop”, um die fabulöse Unterteilung in ”gute” und ”böse” Maschinen/Menschen, also den Sieger und den Besiegten, sondern um die Überwindung von gerade noch moderner Technologie hin zur hypermodernen. Das rein menschliche Material, nämlich das Talent, scheint sich als immer überflüssiger zu er weisen. Das sah wohl auch die Sportredaktion der Sonntags -FAZ so, als sie ein Foto mit dem Satz Untertiteln ließ: "Ayrton Senna schaut skeptisch in die Zukunft: Technik ist wichtiger als Talent.” Skeptisch müßte Senna freilich dann nicht sein, wenn er das Talent der Zukunft besäße, nämlich, die bessere Maschine zu sein.
Kategorie: Kommentar (ab GRIP 63)
Schlagworte: Filmtheorie/Filmwissenschaft