GRIP 02
01.07.1992
Boschfabrik, Betreiber-GmbH und Medienzentrum
"Happy Birthday Türke” von Doris Dörrie wurde 1991 in Frankfurt gedreht. Als Produktionsbüros standen Räumlichkeiten in der alten Boschfabrik in Frankfurt Bockenheim zur Verfügung. Damit griff die Münchner Produktion einem Plan der Frankfurter Filmszene voraus, die unter der Leitung des Filmhaus Frankfurt seit zwei Jahren in der Boschfabrik ein Medienzentrum errichten will.
Von Leonore Poth/Reinhard Oswalt
Der Verein Filmhaus Frankfurt e.V. wurde vor zwei Jahren gegründet, um mit einem in Aussicht gestellten Etat von rund 1,3 Mio. Mark in der Boschfabrik ein Filmhaus zu errichten. Dort sollten neben den Büros des Filmhauses, der Hessischen Filmförderung und verschiedener anderer Verbände temporär mietbare Produktionsbüros, Schnittplätze, ein Vorführraum, eine Kneipe und ein kleines Tonstudio zur Verfügung stehen. Mehrere unabhängige Produzenten hatten ihr Interesse signalisiert, mit dort einziehen zu wollen. Damit hätte die Frankfurter Filmszene ein Zentrum erhalten, das der beabsichtigten Vernetzung zwischen Filmproduzierenden und Film interessierten neuen Schwung verliehen hätte. Der Nachwuchs und die Auszubildenden hätten eine Anlaufstelle für eigene Produktionen bzw. für Kontakte zu bestehenden Strukturen erhalten.
Soweit ist es bis jetzt nicht gekommen. Die politischen Entscheidungsstrukturen der Stadt Frankfurt haben bis jetzt einen Einzug verhindert. Von den Kürzungen im Kulturhaushalt der Stadt Frankfurt war auch das Filmhaus betroffen und der Traum von einem derartigen Zentrum schien ausgeträumt. In Gesprächen mit den verantwortlichen Politikern und verschiedenen Firmen der Filmszene entwickelte sich im letzten Jahr jedoch ein neues Konzept, das bei geringerem finanziellen Aufwand der Stadt ein Medienzentrum (MZ) in der Boschfabrik dennoch ermöglichen sollte: die Betreiber-GmbH.
Mit der Betreiber-GmbH in der Boschfabrik betreten die beteiligten Gesellschafter medienpolitisches und filmkulturelles Neuland. Ein eingetragener und öffentlich subventionierter Verein, das Filmhaus Frankfurt e.V, die in Frankfurt ansässigen Institutionen des unabhängigen Films und diverse Unternehmen der Filmbranche gründen gemeinsam eine GmbH mit dem alleinigen Ziel, die Immobilie Boschfabrik anzumieten. Für beide Seiten ergeben sich daraus deutliche Vorteile und einige Risiken.
Zugrunde liegt die Idee, daß eine GmbH bei den anstehenden Gesprächen mit dem Vermieter und der Stadt eine stärkere Position hat, als eine Vielzahl von einzelnen Mietern. Die Gesellschaft tritt sowohl der Stadt als auch dem Vermieter gegenüber als Verhandlungspartner auf und sichert das Mietverhältnis langfristig ab. Daraus ergibt sich eine genaue Zielvorgabe für die Betreiber-GmbH, die bei der Ausformulierung der Gesellschafterverträge im Vordergrund stand. Einziger Zweck der GmbH ist demnach die Anmietung der Boschfabrik, die Untervermietung an künftige Mieter und die Verwaltung des Gesamtkomplexes. Sie ist so konstruiert, daß sie keine Gewinnerzielungsabsichten aufweist und deshalb als gemeinnützige GmbH auftreten kann. Teil des Vertrages ist ebenfalls, daß nur Interessenten aus der Film- und Medienbranche Räume in der Boschfabrik anmieten können. So soll gewährleistet werden, daß der Charakter des Medienzentrums nicht durch kapitalkräftige, aber branchenfremde Untermieter verfälscht wird.
Der sogenannte kulturelle Teil der Gesellschaft wird repräsentiert durch das Filmhaus Frankfurt, unter dessen Dach auch die Verbände aus der Schweizer Strasse in die Boschfabrik umziehen. Der Gesellschaftervetrag sieht vor, daß der subventionierte Bereich bei der Gesellschafterversammlung den gleichen Stimmenanteil erhält, wie der nach Fläche und Einlage größere so genannte kommerzielle. Darunter fallen die Betriebe aus der Hamburger Allee (u.a. Cineteam, TVT), verschiedene unabhängige Produzenten sowie die geplanten Kinos unter der Federführung von Pandora. Dieser Teil geht mit dem Umzug in die Boschfabrik ein hohes wirtschaftliches Risiko ein, das durch langfristige Mietverträge, verbesserte räumliche Möglichkeiten und den Standortvorteil aufgewogen werden wird. Dieses Konzept eines MZ hat momentan gute Chancen, auch verwirklicht zu werden. Die Parteien der Koalition im Römer haben dem Film haus Frankfurt e.V. einen Mietzuschuß in Aussicht gestellt, für den Fall, daß die Betreiber GmbH gegründet wird. Die Verhandlungen mit dem Vermieter stehen kurz vor dem Abschluß und ein Mietvorvertrag wird ausgearbeitet. Damit kann Frankfurt nach Beendigung der Bauarbeiten Ende 1993 die Dienste eines leistungsstarken und attraktiven Zentrums für den Film in Anspruch nehmen.
Filmstadt Frankfurt? Das sicher auch mit einem Medienzentrum nicht. Aber hätte dieses Medienzentrum bereits im letzten Jahr existiert, hätte Frau Dörrie nicht, wie sie bedauernd betonte, auf ihren eigenen Stab und eigene technische Kapazitäten zurückgreifen müssen. Das MZ als Kontaktstelle und als Ort der Produktion verfügt über die Möglichkeiten, die zur Herstellung eines Film gebraucht werden und zwar auf hohem professionellem Niveau. Die Unternehmen aus der Filmbranche, die an der GmbH beteiligt sind, verfügen über langjährige Erfahrung und die entsprechenden Kapazitäten für Film- und Fernsehproduktionen. Die Verbindungen zum Nachwuchs und zur Ausbildung, den Sendeanstalten und zu anderen Auftraggebern, zu Spezialisten in Teilbereichen der Filmproduktion können wegen der Vielzahl bereits bestehender Kontakte, die jetzt im MZ gebündelt anzutreffen sind, besser genutzt werden. So müssen z.B. Studenten der HfG in Offenbach nicht mehr unbedingt nach Hamburg oder München auswandern, wenn sie einen Einstieg in die Filmherstellung suchen. Umgekehrt kann es vielleicht attraktiv sein, nach Frankfurt zu kommen und die hier vorhandenen Kapazitäten zu nutzen. Vielleicht gelingt es auch, Unternehmen aus anderen Städten nach Frankfurt zu locken.
Mit dem Standort Bockenheim verbinden sich verschiedene Überlegungen. Die unmittelbare Nachbarschaft zur Universität Frankfurt mit dem Institut für Filmwissenschaft und dem Verein Schöne Neue Welt und Pupille eröffnet reizvolle Berührungspunkte sowohl für gemeinsame filmtheoretische Aktivitäten als auch für eine abgestimmte Programmarbeit der Kinos. Die Kinos im MZ sollen neben dem normalen Kino betrieb auch für Veranstaltungen des Filmhauses sowie Sonderveranstaltungen (z.B. Premieren oder Mustervorführungen) genutzt werden. Das MZ wird so zu einem öffentlichen Ort, an dem die Arbeit mit und für den Film auch einem größeren Publikum zugänglich gemacht wird.
Neben den konkreten Arbeitserleichterungen bedeutet das MZ aber auch ein filmpolitisches Signal. Die Stadt Frankfurt erkennt ihre Verantwortung für den Film als Wirtschaftsfaktor und als Kunstform an. Der nächste Schritt muß in Richtung Wiesbaden zielen und der Landesfilmförderung neue Impulse geben. Dies ist sicher mit einer erfolgreichen (Öffentlichkeits-) Arbeit aus dem MZ heraus besser möglich. Das MZ macht sichtbar, welches kreative und kommerzielle Potential in Frankfurt und darüberhinaus für den Film genutzt werden kann. Es ist gewachsen aus bereits bestehen den Strukturen, die gebündelt neue, synergetische Energien freisetzen. Hier wird nicht mit viel Geld eine Struktur geschaffen, die nur schwer inhaltlich gefüllt werden kann. Die geplante Dimension des MZ entspricht den realen Verhältnissen der Frankfurter Filmszene und bietet gleichzeitig die Chance zu quantitativem und qualitativem Wachstum.
Das hier umrissene Profil des MZ wird im laufendem Betrieb sicher noch die ein oder andere Korrektur und Ergänzung erhalten. Wichtig jedoch ist, daß jetzt die Weichen endgültig in Richtung MZ gestellt werden. Die letzten Hindernisse, wie die Verhandlungen zwischen dem Vermieter und der Stadt Frankfurt scheinen aus dem Weg geräumt zu sein. Der feste Wille der verantwortlichen Politiker, dem Filmhaus einen höheren Etat zuzuweisen, muß nicht mehr angezweifelt werden. So scheint die Frankfurter Filmszene kurz vor einem neuen Aufbruch zu stehen.
Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)
Schlagworte: Institution, Filmpolitik, Filmhaus Frankfurt, Kulturförderung