GRIP 02
01.07.1992
10 Jahre ’Brennessel’ - Kino im Hemsbach
Ich und meine Freundin Theres Gernegroß (Merken Sie sich den Namen für die Rubrik "Mega-Stars/ weiblich”!) hatten unsere größten Ohrringe und unsere rotesten Lippenstifte aufgelegt. Daß dies die richtige Entscheidung war, wurde uns in dem Moment klar, als ein junger Mann in traumhaft-blauem Dinnerjacket am Eingang des ”Brennessel” - Kinos in Hemsbach erklärte, er sei besonders entzückt, gerade uns heute abend begrüßen zu dürfen.
Von Gabriele Louella Juvan
Mit einem galant angedeuteten Handkuß empfangen, betraten wir beschwingt die Örtlichkeiten der Festivität. "Hätte ich auch nicht gedacht, daß die's zehn Jahre aushalten,” ließ ein Herr mit Weinglas verlauten. Gott sei Dank, kann man da nur sagen! Denn wer irgendwo im Niemandsland zwischen Darmstadt und Heidelberg wohnt und trotzdem die Lämmer beim Schweigen belauschen, das Leben der Boheme beobachten oder gar Delikatessen zu sich nehmen will, für den ist die Fahrt zur "Brennessel" die letzte Rettung.
Meine Freundin Theres, zum Beispiel, ist eindeutig für Glamour und höhere Sehnsüchte geboren (s.o.), lebt aber, vom Schicksal und der Liebe geschlagen, gerade in Hemsbach. Sie kann das hohe Lied singen, von den doppelsitzigen roten Plüschsesseln der "Brennessel" (ehemals: "Union-Lichtspiele") und wie gut es sich dort mit Richard Gere oder Jeff Bridges ruhen und mit Glenn Close plaudern läßt. Zum Beispiel dann, wenn die örtliche Eisdiele bereits geschlossen hat und der Abend immer noch nicht annähernd vorüber ist.
Daß Theres (der künftige Mega-Star!) kein Einzelfall ist, zeigte die illustre Sause zum 10-jährigen, zu der alle, ALLE gekommen waren, die in Südhessen und Nordwürttemberg Rang und Namen haben: Sissey Spacek aus Seeheim- Jugenheim, Anita Ekberg aus Birkenau und ein Mörlenbacher Jack Nicholson aus den Zeiten, als auf Kinoleinwänden noch Trips geworfen wurden. Mit lässiger Eleganz hatten sie ihre faulen Tierkörper in ihre besten aber um Himmels Willen nicht auffälligsten! Klamotten geworfen, sich auf zwei oder vier Räder geschwungen und flanierten nun mit Gläsern von der Kasse zum Tresen, vom Tresen zum nächsten Band-Auftritt ins Großkino oder ins Kino Nr. 2 zur "Gefahr im Weltall" (in 3-D!).
Als dann zu später Stunde der obergöttliche Sänger der göttlichen Lou Woog-Band so viele seiner Songs gebrüllt, geschrien und dahingehaucht hatte, daß die Pariser von der Bühne längst kein Werbe-Gag mehr waren, dämmerte mir allmählich, daß auch das Leben wunderbares Kino sein kann!
Deshalb den Leuten von der "Brennessel" noch viele, viele schöne Jahre mit traumhaften Filmen und knallvollen Kassen und meiner Freundin Theres (Die Sie unbedingt auf der Leinwand sehen sollten, falls sie dort je hingelangt!) vielen Dank für die geliehenen Ohrringe, den roten Lippenstift und die Einladung zu einem Wochenende auf dem Land.
Kategorie: Bericht/Meldung (GRIP INFO + Filmland Hessen-Beiträge)
Schlagworte: Kino