GRIP 01

01.04.1992

Die Welt des Sports (G01)

Neulich gab es im BergerKino wieder belegte Brötchen und Kaffee.

Von Ernst Oswalt

Anlaß war die Pressevorführung des 1987 von Ching Siu-Tung in Hongkong gedrehten Films A Chinese Ghost Story den der mittlerweile auch hier bekannte Regisseur und Produzent Tsui Hark (R: u.a.: Dangerous Encounter 1st Kind; Mad Mission III; Peking Opera Blues. Pr.: u.a.: Der City-Wolf; The Killer) produziert hat. Plötzlich ging mir so durch den Kopf, daß diese beiden Meister des rasanten Schnitts, schneller Schüsse, Schläge und anderer Action-Kunst-Elemente, eigentlich viel mit der Frankfurter Film-Szene gemeinsam haben: ihre Filme werden nämlich auch nie im Kino gezeigt. Letztes Jahr war es mit Harks Swordsman so und selbst Jackie Chan wurde bisher nur durch Videotheken und TV sichtbar. Fast, so dachte ich während sich meine Zähne einen ungleichen Kampf mit der Zwiebeldekoration eines dieser Lachsbrötchen liefern mußten, könnte man meinen, Frankfurt sei ein Stadtteil von Hongkong. Wer jetzt glaubt, das alles hätte am Ende etwas mit der cineastischen Qualität der Filme zu tun, zeigt nur, daß er wohl auch schon länger nicht mehr im Kino gewesen ist. Einem Weg übrigens, den uns der ARD kürzlich ohnehin erschwert hat. Da lief nämlich eines schönen Sonntags der Krimi Der absurde Mord, eine TaunusFilm-Produktion, die uns mit der sinnigen Frage, ob anhand moderner Kunst Mordserien aufzuklären seien, das trübe Wetter der beginnenden Sommerzeit vergessen ließ.

Wie dem auch sei, ob Hongkong oder Frankfurt, irgendwie scheinen die Produktionen beider Städte in erster Linie der Pflege von kalten Buffets im Kreise eingeschworener Fans und Journalisten zu dienen. Wohl dem, der eins von beiden oder beides ist, denn Ende März gab es schon wieder Kulinarisches umsonst. Auf der Geburtstagsfeier von Hans Bornemann nämlich, der auch dieses Jahr eine kleine Feier im Werkstattkino Mal Seh’n gab. Anwesend war unter anderem auch Ernst Szebedits, zur Zeit auf einer Amerikareise, der ab Juni neuer Geschäftsführer des Filmhaus Frankfurt e.V. sein wird und von dem wir meinen, daß ein Mensch mit so schwer zu buchstabierendem Nachnahmen erfolgreich sein muß. Wir wünschen ihm jedenfalls, daß er mehr Glück bei der Wahl seiner Kulturdezernenten haben wird, als das dem jetzigen Filmhauschef Bruno Schneider vergönnt war. Der lag den ganzen März über vor Madagaskar auf einer kleinen Insel, wo er sich von den Mühen der letzten zwei Jahre zu erholen hoffte. (Dabei fällt mir ein: wo hält sich zur Zeit eigentlich unser reisefreudiger Geschäftsführer der Hessischen Filmförderung, Jürgen Karg auf?)

Immerhin steht dem Filmhaus nun auch eine Betreibergesellschaft zur Seite, so daß künftig für szenenfördernde Gemunckel und das richtige ”Wir- Gefühl” gesorgt sein dürfte. Wir jedenfalls spitzen schon mal die Bleistifte. Was nun allerdings aus den Mannheimer Filmfestspielen wird, wenn Michael Kötz durch die Wahl Ernst Szebedits zum Geschäftsführer des Filmhauses seines Mitarbeiters beraubt ist, steht noch offen. Da allerdings auch Kay Hoffmann der übrigens nichts mit der Familie des gleichnamigen Ex-Kulturdezernenten zu tun hat dieses Jahr seine Mitarbeit bei der Berlinale aufgekündigt hat, verspricht das Stühlerücken um diverse Festivalorganisationen spannend zu werden. Schließlich ist auch die Stelle von Martin Ra- bius beim Max-Ophüls-Filmfestival in Saarbrücken vakant. Der von Karola Gramann verlassene Chefsessel bei der Frankfurter Filmschau jedenfalls wird inzwischen vom Filmbüro-Geschäftsführer Thomas Mank besetzt.

Weniger Stühle als Rahmen - vordergründig betrachtet-, sind eines der stilistischen Mittel von Bleeding Frames, der neusten K.I.L.O Produktion von Bachmann/Drees. Siegfried ”Siggi” Drees, stellte jüngst in den Studios der Medienwerkstatt Frankfurt e.V. sein Video fertig. In dem bereits verfaßten PR-Text kündigt Siegfried an, ”Der Film akzeptiert keine Kritik der Erzähler beurteilt sich selbst ganz hart und brutal.” Natürlich dürfte sich eine Kritik denn eine solche wäre ein Zeichen dafür, daß der Film auch gesehen wurde -, die bei sämtlichen Beteiligten gleichermaßen ankommt, als unmöglich erweisen, da es sich hier um einen wahrhaft internationalen Experimentalfilm handelt. Und wie immer bei diesem Genre, paßt der Begriff nicht ganz in den Rahmen, den der Film zur Rezeption bietet, weil die Bezeichnung nichts darüber formuliert, womit experimentiert werden muß, damit eine Auswahljury für die Oberhausener Filmtage ihn nominiert.

Diese Sinnfrage, und das wäre ja schon ein Ausgangspunkt, stellte sich jedenfalls bei der ersten Sichtung in der MEWI durch ein kleines, eher zufällig anwesendes Publikum auf Grund allgemeinen Gefallens nicht und Oliver Rothländer, als Cutter und teilweise auch Kameramann der einzige anwesende Mitverantwortliche, nahm das Lob auf seine Art entgegen: nämlich lächelnd und schweigend. Das Video kam an, weil es wirkt. Wie es das tut, entzieht sich tatsächlich der Kritik. Vielleicht war es das, was die Jury der Oberhausener Filmtage derart verwirrte, daß sie den Videofilm glattweg ablehnten. Wir jedenfalls fragen uns an dieser Stelle ernstlich, welchen Anspruch diese Jury wohl an experimentelle Kurzfilme stellen mag? Bisher hat Bleeding Frames jedem gefallen, der ihn gesehen hat und das zu Recht. Wir jedenfalls mögen diesen Film und hoffen nun auf ein reichhaltiges Buffet zur Frankfurter Präsentation von ”Bleeding Frames”. Ein ebenfalls eigenartiges Auswahlverfahren zeigte sich beim 1. Internationalen Unterwasserfilm- und Foto-Festival, (wat et nit all’ jibt! hätte mein Großvater dazu gesagt) veranstaltet vom Dokumente des Meeres e.V.. Der Wettbewerb übrigens der erste professionelle seiner Art dreht sich sinnigerweise um den GOLDENEN ORCA. Vermutlich deshalb, weil es das durch Katastrophenfilme als "Killerwal” in Mißkredit gebrachte Meerestier auch wirklich verdient hat, endlich rehabilitiert zu werden. Verwundert hat uns im Vorfeld nur, daß jeder, der seinen Film, Dias oder Fotos einschickte, bereits dafür, daß er von der Auswahljury gesichtet wurde, 50.Mark bezahlen mußte. Nun, bei etwa 250 eingegangen Arbeiten - 49 werden zur GOLDENEN ORCA-Jagd zugelassen - dürfte so zumindest das Catering gesichert sein.

Es war kein Spiel wie andere. Es war selten gesehener Kampf, Dynamik über 90 Minuten, es war intensiv und jede Aktion war aufregend. Ein Samstagnachmittag, der die Woche würdig beendete und das Wochenende zünftig einleitete. Die Rede ist, und gerne denke ich daran zurück, vom Fußball- bundesligaspitzenspiel zwischen Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt vor ein paar Wochen. Warum an dieser Stelle Worte finden für ein Fußballspiel? Nun, vielleicht - so fragten wir uns später - lag das Beeindruckende nicht sosehr im Spiel selbst sondern vielmehr in der Art wie wir teilhat- ten/teilnahmen, wie es auf uns einstürmte. Davon gilt es zu berichten. Zur Erklärung: Der Pay-TV Sender Premiere überträgt jeden Samstag das Topspiel der Bundesliga. Dieser Sender ist nur über Decoder zu empfangen, d.h. man muß Geld bezahlen um seine Signale unverschlüsselt zu empfangen. Niemand im Bekanntenkreis tut dies, zumal es außer den Fußballspielen wenig Kostbares zu sehen gibt. Also machten wir uns wie in den Anfangstagen des Fernsehens auf, um in einer Gaststätte gemeinsam mit Fremden - wie nicht anders zu vermuten alles Anhänger der Frankfurter Ballzauberer - den Verlauf dieses, für die Eintracht so wichtigen Spiels zu verfolgen. Und so saßen wir an jenem sonnigen Samstagnachmittag mit rund 150 anderen Menschen in einer dunklen Discothek auf Bierbänken, vor uns das gebeamte Fernsehbild auf einer großen Leinwand und ein Pils. Die Machart der Premiere-Fußballübertragung hat mit der herkömmlichen Fußballberichterstattung nun wahrlich nichts mehr zu tun. Begonnen wird eine Viertelstunde vor Anpfiff mit Berichten aus den Fanblocks. Da steht ein Reporter mitten unter den Fans der jeweiligen Mannschaft und fragt, wie’s denn so geht und wer wohl gewinnen wird. In diesem Fall kam nichts Überraschendes dabei raus, aber wir freuten uns (mit einem kleinen schlechten Gewissen, weil wir sie dort so alleine ließen), die treuen Frankfurter im Dortmunder Stadion begrüßen zu können. 400 Kilometer entfernt waren wir doch ganz nah bei ihnen. Im Laufe der folgenden 90 Spielminuten hatten wir dann aber mehr vom Spiel als sie und die Atmosphäre in unserer Gruft war wohl nicht weniger dicht als die ihrige. Da verfolgten 12 Kameras jede Bewegung auf dem Rasen, eine davon nur auf Uli Stein, den zornigen alten Torhüter der Eintracht gerichtet, da gab es unendliche Wiederholungen der entscheidenden Spielszenen, viele davon in der Super-Zeitlupe, da vermittelten Einstellungen und Schnittfolgen einen Eindruck vom Geschehen, der an Oliver Stones Montagetechnik (mit der ihr innewohnenden Emotionalisierung) erinnerte, kurz, es war die perfekte Inszenierung eines Fußballspiels. Leider, und da zeigten sich die Grenzen dieser Show, überschnitten sich die Bildorgien der Zeitlupe mit dem Fortgang des Spiels. Während also der Ball seinen schier endlosen Flug vor einem dunklen Himmel und über die Köpfe der Athleten hinweg vollzog, lief längst das Kampfgeschehen auf dem Rasen in Realzeit weiter und entzog sich unserer Anteilnahme. Technische Unzulänglichkeiten ließen während der zweiten Halbzeit den Ton ausfallen, daß heißt für Stimmung mußten wir selber sorgen, einer Aufforderung, der wir beim zweiten bis dritten Bier gerne und lautstark nachkamen. Das Gewölbe verstärkte unsere Bemühungen prima und so war es ganz schön laut im Keller. Besonders beeindruckten die Tore und Fouls, eine Tatsache die die oben geäußerte Vermutung stützt, daß es die Übertragung selber war, die für die reinigenden emotionalen Ausbrüche verantwortlich gemacht werden konnte. Denn natürlich wurden vordringlich Tore und Fouls immer wieder und aus jeder erdenklichen Perspektive wiederholt. Die Konzentration auf die große Leinwand - durch den abgedunkelten Raum war Fernsehen wie Kino - dazu die enge Abhängigkeit der eigenen Gefühlslage von Verlauf und Ergebnis des Spiels verliehen den samstäglichen 90 Minuten einen Modellcharakter für gelungene Unterhaltung. Das nächste Heimspiel und ein Besuch im Stadion wird zeigen, welcher Form des Fußballkonsums die Zukunft gehört. Ach ja, das Spiel endete unentschieden 2:2. Ein weiterer Punkt auf dem Weg der Eintracht zur Meisterschaft 1992.

Kategorie: Kommentar (ab GRIP 63)

Schlagworte: Filmhaus Frankfurt, Filmemacher*in, Filmkultur, Festival, Experimentalfilm

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