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06.10.2025
Frankfurt Tatort: Neu und anders
Die Pilotfolge „Dunkelheit“ des neuen Frankfurter „Tatort“ kam am 5. Oktober endlich auf den Bildschirm. Im linearen TV kam die Folge auf immerhin 8,83 Mio. Zuschauende, die viertgrößte Reichweite der Reihe in diesem Jahr. Auch die hessische Filmbranche war neugierig auf die Erstausstrahlung, denn die hiesige Landschaft der Produktionsfirmen hatte bei der Ausschreibung des Hessischen Rundfunks (hr) zu einem neuen Tatort-Konzept den Kürzeren gezogen. Den Auftrag hat die Berliner Sommerhaus Filmproduktion erhalten. Allerdings kamen mehrere hessische Filmschaffende aus unterschiedlichen Gewerken in den bislang drei abgedrehten Folgen zum Zuge.
Von Andrea Wenzek
Als im Dezember 2023 die letzte Klappe für Margarita Broich und Wolfram Koch als Frankfurter Ermittler-Duo fiel, war dies auch die letzte hr-Eigenproduktion eines Spielfilms, im Auftrag der ARD-Tochter Degeto. Obwohl der hr im Rahmen seiner Sparpolitik bereits ab 2022 Fernsehspielfilme an Produktionsfirmen in Auftrag gegeben hat – unter anderem auch an die Frankfurter Firma U5 –, stand Ende 2023 bereits das neue Tatort-Konzept fest, das nicht mehr in der Spielfilm-Redaktion des Hauses entwickelt wurde. Es gab eine Ausschreibung. „Diese umfasste ein Konzept für ein neues Frankfurter Tatort-Team inklusive Figurenprofile/Team-Profil und Vorschläge für drei Fälle/Folgen, optional auch schon Cast-Vorschläge“, heißt es aus der Redaktion. Ungefähr 15 Produktionsfirmen wurden aufgefordert, darunter drei aus Hessen. „Das Tatort-Konzept von Sommerhaus hat uns qualitativ am meisten überzeugt und bestach durch seine Originalität, unter anderem durch das im „Tatort“ bisher noch nicht eingesetzte Thema der Cold Cases - bisher beschäftigten sich nur einzelne Folgen mit Altfällen.“ Und in einer Producer’s Note von Jochen Laube, Fabian Maubach und Annie Schilling von Sommerhaus wird zurückgelobt: „Dass die hr-Spielfilmredaktion seit Jahren mit zu den besten und innovativsten gehört, ist der ganzen Branche längst klar. Mit ihnen einen neuen „Tatort“ aufzusetzen, ist also ein Geschenk.“
Auftakt mit dem „Main-Ripper“
Worum geht es in dem ersten Fall? Aufgrund interner Ermittlungen wird Hauptkommissar Hamza Kulina (Edin Hasanovic) in die Abteilung für Altfälle in den dunklen Keller des Polizeipräsidiumsversetzt. Dort sitzt nur eine Person, die Abteilungsleiterin Maryam Azadi (Melika Foroutan). Hamza soll sie bei der Aufarbeitung von Cold Cases unterstützen. Schnell kommt es für ihn zum ersten Einsatz: Bei der Wohnungsauflösung eines verstorbenen alten Mannes werden menschliche Leichenteile entdeckt, die bald darauf hindeuten, dass der Mann ein Serienmörder war. Als die Medien von dem Fund erfahren, steigt der Druck auf Maryam und Hamza, weitere Opfer zu identifizieren. Eine in drei Tagen nahende Pressekonferenz löst einen Wettlauf gegen die Zeit aus, der die beiden in Frankfurts Kriminalgeschichte führt: Sie wälzen Akten bis in die 1970er Jahre.
Ihnen geht es zuerst darum, den Angehörigen der Opfer endlich Klarheit und so einen emotionalen Abschluss zu ermöglichen. Bei den Recherchen stößt Hamza auf ein weiteres Opfer, das zunächst nicht in das Muster des von der Presse nun titulierten „Main-Ripper“ als Serientäter passt. Wer im Rhein-Main-Gebiet lebt, erinnert sich vielleicht noch an den „Hessen-Ripper“ – dieser Fall diente als True-Crime-Vorlage für die Entwicklung des Drehbuches: Manfred S. aus Schwalbach soll über Jahre hinweg bis zu zehn Menschen auf grausame Weise ermordet haben. Erst als seine Tochter 2014 seinen Nachlass ordnete, kam dies über einen schockierenden Fund ans Licht.
Mit den beiden Hauptdarsteller*innen Melika Foroutan und Edin Hasanovic hat der hr einen guten Fang gemacht, sie sind etabliert und können auch eine jüngere Zielgruppe ansprechen. „Beide wurden uns im Rahmen des eingereichten Konzepts von Sommerhaus vorgeschlagen, und wir waren von Anfang an von dem Team begeistert“, heißt es aus der Redaktion. Zudem bedienen die beiden den Anspruch von Sommerhaus, Frankfurt in seiner Internationalität gerecht zu werden. Maryam hat iranische Wurzeln, Hamza ist als Kleinkind aus Bosnien geflüchtet. Seine Mutter und er sind Überlebende des Massakers von Srebrenica und haben beide den Verlust des mutmaßlich ermordeten Bruders bis heute nicht aufgearbeitet. Die Drehbuchautoren haben den Plot und das Trauma der Filmfigur miteinander verknüpft. Der Cold Case ist nicht nur ein Aktenzeichen, sondern ein Schicksal, das ihn und die Angehörigen der Opfer miteinander verbindet. Problem: Der zweite Erzählstrang überfrachtet den Plot mit einem weiteren Trauma. Das ist das einzige Manko von „Dunkelheit“. Dem kammerspielartigen Film gelingt es trotzdem, wie es sich für einen Krimi gehört, zu fesseln.
Die Opfer stehen im Mittelpunkt
Dokumentarische True-Crime-Formate sind im Fernsehen schon seit Jahren angesagt, darin richtet sich der Blick vor allem auf die Grausamkeit der Täter. Die drei Drehbuchautoren Erol Yesilkaya, Senad Halilbašić und auch Regisseur Stefan Schaller haben sich den „wahren Begebenheiten“ ganz anders genähert: „Uns war schnell klar, dass wir die Opfer und ihre Angehörigen in den Mittelpunkt stellen wollen“, sagt Senad Halilbašić. Für den Regisseur Stefan Schaller ging es nicht um „Wie hat er gemordet?“, sondern um „Wer waren diese Menschen, die ermordet wurden?“ Schaller ergänzt: „Wie kann es gelingen, einen spannenden Krimi und Thriller zu erzählen, der dennoch nicht reißerisch ist und die Gewalt filmisch nicht reproduziert?“
„Das ist zu einem gewissen Grad ein Bruch mit der üblichen Erzählweise und hat sich stark aus unserer Recherche ergeben: Mitarbeiter*innen aus Cold-Case-Abteilungen haben uns erzählt, dass es in ihrer Arbeit nicht nur darum geht, Licht ins Dunkel zu bringen, sondern auch den Angehörigen Gewissheit zu geben.“ Zugleich möchten die drei Autoren mit Rückblenden erreichen, dass die Opfer nicht bloß zu Namen auf einer Karteikarte werden, sondern als Menschen mit eigenen Wünschen und Träumen greifbar bleiben. „Obwohl sie tot sind, wollten wir sie für die Zuschauer*innen lebendig machen“, betont Halilbašić.
Das ist der Regie gelungen. Und auch dem Editor Stefan Blau aus dem Stall des hr, der den Firmen bei früheren Aufträgen vom hr „bereitgestellt“ wurde. Also handelte es sich bei den Auftragsproduktionen ab 2022 eigentlich um Koproduktionen. „Dunkelheit“ scheint wohl eine der ersten lupenreinen Auftragsproduktion des hr zu sein, denn Stefan Blau hat sich Urlaub nehmen müssen, um „Dunkelheit“ zu montieren. Bis auf die Weiterentwicklung des Stoffes durch die Redakteur*innen Erin Högerle, Jörg Himstedt und die hauseigene Casterin Nathalie Mischel war niemand mehr von den hr-Angestellten dabei. Nicht zu vergessen: Die Redakteurin Birgit Titze von „Degeto Film” spielte hinter den Kulissen auch eine Rolle, denn im Rahmen des Länderfinanzausgleichs koproduziert die ARD-Tochter einen der hr-Tatorte pro Jahr. So wird es bei den anderen kleineren ARD-Anstalten wie SR, rbb und Radio Bremen auch gehandhabt.
Frankfurt ist ein guter Drehort
Högerle und Himstedt sind erfreut, dass bei allen drei Filmen eine Vielzahl von Filmschaffenden aus der Rhein-Main-Region von Sommerhaus engagiert wurden: „Wir hatten viele vertraute Gesichter am Set.“ Dazu gehörten laut der ausführenden Produzentin Annie Schilling bei der Pilotfolge der zusätzliche Kameramann Armin Karahasanovic sowie Kameraassistenten und der Kamerabühnenassistent. Das Kostümteam um Katherina Schnelting sowie die Maskencrew um Stefanie Lange waren auch dabei. Der Frankfurter Oberbeleuchter Tilo Ullrich scharte reichlich Licht-Personal aus der Region um sich herum, so auch Filmtonmeister Tobias Schinko. Dem Ersten Aufnahmeleiter Robert Hertel aus Mainz assistierten Set- und Motiv AL aus Frankfurt. Diverse andere Gewerke von der Außen-Requisite bis zu den Script Supervisorinnen wurden von Sommerhaus ebenfalls aus der Region bestallt.
In Frankfurt habe sie eine „Super-Dreherfahrung“ gemacht, so Annie Schilling. Der besagte Keller des fiktiven Polizeipräsidiums befindet sich in dem früheren Telekom-Gebäude am Frankfurter Ostbahnhof, genannt „Danzig am Platz“. Darin konnte sich Sommerhaus auch ein zeitweiliges Produktionsbüro einrichten. Ohnehin tummeln sich viele Start-ups und Kleinunternehmen in dem Haus. Und hinsichtlich der Außendrehs erfuhren Stadt und Umland bei der Frankfurt-Premiere des Fernsehkrimis im Massif E viel Lob auch von Melika Foroutan: „Wenn ein Drehteam aufkreuzt, ist die Nachbarschaft grundgenervt. Uns werden Parkplätze zugestellt und es gibt auch schon Leute, die Sachen aus dem Fenster werfen. Und in Frankfurt haben wir das genaue Gegenteil erlebt. Die Menschen waren unglaublich freundlich, zugetan, interessiert und überhaupt nicht gestört von uns“.
Kategorie: GRIP-Blog
Schlagworte: Crew, Dreharbeiten, Schauspiel, Spielfilm, TV/Rundfunk
